Spätestens seit seiner gestrigen Verhaftung erfährt Wikileaks-Mitgründer Julian Assange eine weltweite Welle der Sympathie. Dafür verantwortlich sind vor allem drei psychologische Mechanismen.
1. Der Underdog-Effekt
Die Geschichte von Julian Assange erinnert an den klassischen Kampf von David gegen Goliath – Hacker auf der einen Seite, Weltmächte auf der anderen. Da überrascht es nicht wirklich, dass die Menschen mit Assange sympathisieren und im Internet Boykottaufrufe unterstützen. Psychologen sprechen hierbei vom „Underdog-Effekt“.
Vereinfacht besagt der: Unser Herz schlägt bevorzugt für den Unterlegenen – egal ob im Sport, bei Wahlen oder beim Kauf eines Produkts. Dahinter steckt ein simples Prinzip: Wer auf den Underdog setzt, weiß im tiefsten Inneren, dass er mit dessen Niederlage rechnen muss. Unsere Erwartungen an David sind nicht besonders groß – und umso kleiner ist die Enttäuschung, wenn Goliath gewinnt.
2. Die Macht der Eloquenz
Todd Rogers und Michael Norton von der Harvard Business School fanden vor Kurzem in einer Studie heraus: Mit Eloquenz lassen sich selbst die härtesten Kritiker überzeugen. Mehr noch: Wer Fragen galant und geschickt beantworten kann, dem fliegen nicht nur die Sympathien zu, sondern dem vertrauen wir auch stärker – unabhängig davon, ob er die Wahrheit sagt.
Rogers und Norton zeigten den Teilnehmern ihres Experiments Videos einer politischen Debatte. Beim ersten beantworteten die Kandidaten tatsächlich die Frage, die ihnen gestellt wurde. Beim zweiten ignorierten die Politiker die Frage und beantworteten stattdessen eine andere. Fazit: Stellte der Politiker es raffiniert an, bemerkten die Probanden noch nicht mal, dass sie gerade in den Wald gequatscht wurden.
Mit anderen Worten: Wichtig war nicht, die Frage zu beantworten – sondern sich dabei rhetorisch geschickt anzustellen. Das tat auch Julian Assange gestern mit viel Pathos. In einem Gastbeitrag für eine australische Zeitung zitierte er unter anderem den Medienmogul Rupert Murdoch: „Im Kampf zwischen Geheimnistuerei und der Wahrheit ist es unabwendbar, dass die Wahrheit stets siegen wird.“
3. Die vier I’s
Idealismus, Individualität, Inspiration und Intellekt – das sind für Psychologen die vier Voraussetzungen für besonderes Charisma. Assange erfüllt alle vier: Sein persönliches Schicksal ordnet er der Sache unter, er hat einen harten Kern treuer Mitarbeiter um sich geschart, ist mitreißend und motivierend. Außerdem neigt er zur Dramatisierung – ebenfalls ein wichtiges Element großer Ausstrahlung: „Die gefährlichsten Männer sind diejenigen, die Krieg führen. Wenn mich diese Auffassung gefährlich macht, dann ist es eben so“, sagte Assange vor einigen Monaten im Spiegel-Interview.
Und dennoch: Charismatische Persönlichkeiten laufen latent Gefahr, Unheil anzurichten – nämlich dann, wenn ihr Narzissmus Überhand nimmt und aus Leidenschaft Fanatismus und Demagogie erwachsen. Auch Julian Assange scheint davor nicht gefeit. Vor einigen Monaten schrieb er laut SZ an einen Kritiker: „Ich bin Herz und Seele dieser Organisation, dessen Gründer, Philosoph, Sprecher, erster Programmierer, Organisator, Geldgeber – und noch alles weitere.“
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Warum (fast) alle auf den Wikileaks Chef abfahren! https://www.alltagsforschung.de/charisma-die-faszination-des-julian-assange/
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