Denken und spinnen – Die Gefahren der Intelligenz

Mittlerweile wissen Psychologen, dass viele Menschen ständig Denkfehler begehen. Liegt das an mangelnder Intelligenz? Ganz im Gegenteil! Eine neue Studie behauptet: Kluge Menschen tappen umso häufiger in Denkfallen.

Folgendes: Ein Baseballschläger und ein Ball kosten insgesamt 1,10 Euro. Der Schläger kostet 1 Euro mehr als der Ball. Die Frage: Wie teuer ist der Ball?

Lassen Sie mich raten, Ihre spontane Antwort lautete: „10 Cent!“

Erwischt!

Die richtige Antwort ist: 5 Cent.

Gehen Sie die Rechnung noch mal durch. Dann werden Sie erkennen, dass 10 Cent falsch sein muss – denn der Unterschied zwischen 1 Euro und 10 Cent beträgt nur 90 Cent. Sehen Sie es jetzt?

Die Frage stammt aus dem „Cognitive Reflection Test“ von Shane Frederick. Der US-Ökonom hat die Aufgaben in den vergangenen Jahren Hunderten von Probanden vorgelegt, und kaum jemand beantwortete die Frage nach dem Preis des Baseballs spontan richtig.

Kein Wunder: Unsere Ge­danken sind selten objektiv, unsere Schlussfolgerungen oft unlogisch. Eher gehorchen sie Instinkten, Illusionen und Irratio­nalitäten. Oder anders gesagt: Allzu häufig unterliegen wir einer gedanklichen Verzerrung (cognitive bias).

Ich denke, also spinn ich

Seit René Descartes‘ Leitmotiv – Ich denke, also bin ich – sind knapp 400 Jahre vergangen. Die Welt ist seitdem um einiges schnelllebiger geworden, ständig droht mentale Überlastung. Heute gilt offenbar eher: Ich denke, also spinn ich.

Oder liegt es schlicht an mangelnder Intelligenz, dass wir so häufig ins geistige Fettnäpfchen tappen? Mit dieser Frage beschäftigt sich eine noch unveröffentlichte Studie, über die kürzlich der US-Autor Jonah Lehrer berichtete. Und darin kommt der Psychologe Richard West von der James Madison Universität zu einem, nun ja: mindestens überraschenden Ergebnis.

West widmete sich mit zwei Kollegen der Erforschung so genannter blinder Flecken (bias blind spots). Vereinfacht ausgedrückt nehmen wir Denkfallen bei uns selbst nicht wahr, bei anderen Personen aber sehr wohl. Motto: „Das könnte mir nie passieren!“

Diese Ansicht vertraten auch die 482 Studenten, denen West verschiedene gedankliche Verzerrungen vorlegte. Die Mehrzahl war der Ansicht, dass sie selbst darauf nie reinfallen würde, ihre Kommilitonen aber schon eher. Das wollten die Wissenschaftler nun herausfinden.

Daher stellten sie den Testpersonen einige knifflige Rätselfragen, bei denen es darauf ankam, eben nicht in die Denkfallen zu tappen. Ergebnis: Die Probanden fielen genauso häufig darauf rein – obwohl sie es anders vorhergesagt hatten.

Hatte West es mit besonders blöden Studenten zu tun? Waren sie geistig nicht ganz auf der Höhe? Nicht die hellsten Kerzen auf der Torte? Denkste.

Im zweiten Teil des Versuchs unterzog der Forscher die Gruppe verschiedenen Intelligenz- und Personlichkeitstests. Und dabei zeigte sich: Die Studenten waren alles andere als dumm – sie waren sogar recht klug! Sie hatten Spaß an intellektuellen Herausforderungen, waren offen für Neues, dachten durchaus reflektiert und hatten im Hochschul-Aufnahmetest SAT ein überdurchschnittliches Ergebnis erzielt.

Doch als West nun die Ergebnisse verglich, fand er erstaunliche Korrelationen: Je klüger sie waren, desto eher fielen sie auf die Denkfehler herein. Oder anders formuliert: Klugheit schützt vor Torheit nicht.

„Kognitive Fähigkeiten schützen keinesfalls vor dem gedanklichen blinden Fleck“, resümiert West. Womöglich seien sich intelligente Menschen ihres Vorteiles bewusst und gingen daher automatisch davon aus, dass sie die Denkfallen locker umschiffen. Weit gefehlt. Intelligenz kann sicher nicht schaden – aber eine große Hilfe ist sie auch nicht unbedingt. Und manchmal steht sie uns offenbar sogar eher im Weg.

Quelle:
Richard West, Russell Meserve und Keith Stanovich (2012). Cognitive Sophistication Does Not Attenuate the Bias Blind Spot. Journal of Personality and Social Psychology.

2 Kommentare

  1. Ich habe gestern eine Erfahrung gemacht, die genau zu diesem Thema passt: ich habe mit meiner Tochter Master Mind gespielt, also das Spiel, bei dem man eine Kombination von vier farbigen Steckperlen erraten muss, und zwar sowohl die Farbe als auch die Position.

    Ich habe kombiniert, verglichen und scharf nachgedacht, aber dennoch eine falsche Schlussfolgerung gezogen. Denn als mir der rote Kontroll-Pin anzeigte, dass ich eine Perle an der richtigen Stelle hatte, ging ich davon aus, es sei die orange-farbene – die war es aber nicht!

    Es kommt in diesem Spiel entscheidend darauf an, die richtige Schlussfolgerung zu ziehen. Meist lautet die richtigste Schlussfolgerung: „Zu diesem Zeitpunkt kann ich noch nicht wissen, welche Farbe zur Lösungskombination gehört.“
    Ob man angesichts zweier weißer Kontroll-Pins die richtige Steckperle als „richtig“ vermutet, ist reiner Zufall.

    Diese Erfahrung bei Master Mind ist nur ein banales Beispiel. Unser Verstand ist ständig damit beschäftigt, Erlebnisse in einen scheinbar sinnvollen, in Wahrheit aber oft völlig willkürlichen Zusammenhang zu bringen.
    Wie sehr uns unsere Intelligenz an der Nase herumführt, habe ich auch in meinem Blogartikel „Was ist radikaler Konstruktivismus“ beschrieben: http://tinyurl.com/87cgh6c

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