Die Macht der fremden Geheimnisse

Ein Geheimnis zu haben, ist schon anstrengend genug – doch laut einer neuen Studie belasten uns auch fremde Geheimnisse.

Vor ein paar Tagen erzählte mir eine Kollegin etwas, aber vorher klärte sie die Bedingungen: „Du darfst es auf gar. Keinen. Fall. Weitererzählen.“

„Geht klar.“

„Ganz sicher?“

„1000 Prozent.“

„Auch nicht deinem engsten Kollegen mit der Bitte, dass der es niemandem weitererzählt?“

„Versprochen.“

Damit wir uns richtig verstehen: Ich habe das Geheimnis bislang für mich behalten und werde es auch weiterhin tun. Aber schwer fällt es mir schon.

Kein Wunder, würde Michael Slepian jetzt sagen. Der Psychologe der Columbia-Universität hat sich auf die Erforschung von Geheimnissen spezialisiert. Im vergangenen Jahr veröffentlichte er seine bisherigen Erkenntnisse in einer umfangreichen Studie. Dafür hatte er Hunderte von Freiwilligen nach ihren Geheimnissen gefragt und wie sie mit ihnen umgingen.

Und dabei stellte Slepian fest: Etwas für sich zu behalten, belastete die Menschen seelisch erheblich. Aber nicht, weil sie ihr Wissen in bestimmten Situationen aktiv verbergen mussten. Sondern weil sie sich im Alltag ständig dabei ertappten, dass sie an das Geheimnis dachten – und diese Bewusstmachung senkte das Wohlbefinden.

Doch dieser Effekt tritt nicht nur bei eigenen Geheimnissen auf – sondern selbst dann, wenn jemand sein eigenes Geheimnis mit uns teilt, uns aber gleichzeitig eine Schweigepflicht auferlegt. Zu diesem Ergebnis kommt Slepian in einer neuen Studie, die in der September-Ausgabe des Fachjournals „Journal of Experimental Social Psychology“ erscheint.

Im ersten von drei Experimenten ließen er und seine Kollegin Katharine Greenaway 200 Probanden mit einem Durchschnittsalter von 34 Jahren einen Fragebogen ausfüllen und darüber Ausschluss geben, ob ihnen schon mal jemand ein Geheimnis anvertraut hatte und wenn ja, aus welchem Bereich. Wie nahe standen sie dieser Person? Wie oft dachten sie an das gemeinsame Geheimnis? Und waren sie letztendlich froh, Bescheid zu wissen – oder empfanden sie das Wissen als Bürde?

Slepian bemerkte: Je näher sie der Person standen, die das Geheimnis mit ihnen geteilt hatte, desto häufiger dachten sie über das Geheimnis nach – aber das erhöhte sowohl die Bindung als auch die Bürde.

Entscheidend war vielmehr, um was für ein Geheimnis es sich handelte: Wenn es Personen aus dem gemeinsamen Netzwerk betraf, mussten die Freiwilligen es wegen ihres Schweigegelübdes aktiv verbergen. Doch genau diese loyalitätsbedingte Verschwiegenheit sorgte nicht für höhere Sympathie zum Erzähler des Geheimnisses, sondern nur für höheren Stress.

„Etwas anvertraut zu bekommen, kann die Bindung stärken und Intimität aufbauen“, schreibt Slepian,“aber gleichzeitig befinden sich Menschen meist auf geradem Weg in eine Stresssituation, wenn sie die Geheimnisse anderer erfahren und für sich behalten müssen.“

Quelle:
Michael Slepian und Katharine Greenaway (2018). The benefits and burdens of keeping others‘ secrets. Journal of Experimental Social Psychology. Band 78, Seite 220-232

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