Die Statusmeldung bei Facebook erlaubt es uns, Gefühle mit unserem digitalen Freundeskreis zu teilen. Einer neuen Studie zufolge ist das sinnvoll: Wer seine Emotionen kommuniziert, zieht daraus eine Art therapeutischen Nutzen.
Der Freitag vergangener Woche begann ganz normal. Ich hatte gerade den Computer hochgefahren und wollte anfangen zu arbeiten. Um 8.30 Uhr rief meine Mutter an, um ein bisschen zu quatschen. Nach etwa zehn Minuten legten wir auf. Sekunden später klingelte das Telefon wieder. Meine Mutter. „Ich muss dir etwas sagen. Oma ist gestorben.“
Auch wenn meine Oma bereits 87 Jahre alt, kam ihr Tod für uns völlig überraschend. Bis auf ein paar Beschwerden ging es ihr immer noch sehr gut. Aber in den frühen Morgenstunden des vergangenen Freitags hörte ihr Herz einfach auf zu schlagen, während sie schlief. Ein schöner Tod für sie, wenn man das so sagen kann. Aber ein schrecklicher Moment für uns.
Ich machte mich sofort auf den Weg zu meiner Mutter. Und während sie sich bereit machte, mit mir zu meiner Oma zu fahren, wartete ich allein im Wohnzimmer. Fassungslos, schockiert und, ja: tränenüberströmt.
Und dann tat ich etwas, wovon ich heute immer noch nicht weiß, ob es richtig war. Ich öffnete die Facebook-App auf dem Handy und tippte in die Statusmeldung: „Ruhe in Frieden, Oma. See you on the other side. :-(“
Das Internet ist für viele Menschen zu einem wichtigen Bestandteil ihres Lebens geworden. Soziale Netzwerke erlauben es uns, immer und überall mit Freunden und Bekannten zu kommunizieren. Bei Facebook ist vor allem die Statusmeldung beliebt. Schätzungen zufolge aktualisieren etwa 360 Millionen Facebook-Mitglieder ihren Status mindestens einmal pro Woche, 125 Millionen sogar wenigstens einmal täglich.
Kein Wunder: Wer seine Emotionen mit Freunden teilt, zieht daraus eine Art therapeutischen Nutzen. So lautet zumindest das Fazit einer neuen Studie von Jonah Berger, Professor an der Wharton Business School. Gemeinsam mit seiner Kollegin Eva Buechel untersuchte er das Phänomen der „Facebook-Therapie“. Berger wollte herausfinden, warum die Nutzer persönliche Informationen mit ihrem digitalen Freundeskreis teilen.
In der ersten Studie befragte 141 Studenten zu ihrem Kommunikationsverhalten. Außerdem ließ er sie einen Persönlichkeitstest bearbeiten. Damit wollte er herausfinden, wie es um ihre emotionale Stabilität stand. Darunter verstehen Psychologen vereinfacht gesagt die Fähigkeit, eigene Gefühle in den Griff zu bekommen. Menschen mit hoher emotionaler Instabilität sind häufig ängstlich, gestresst, launisch oder nervös. Und das, meint Jonah Berger, wirkt sich auch auf ihr Kommunikationsverhalten bei Facebook aus.
In seinen Experimenten fand er einen Zusammenhang zwischen der Persönlichkeit und dem Mitteilungsbedürfnis. Die emotional labileren Befragten aktualisierten ihre Statusnachricht nicht nur häufiger, sondern verwendeten darin auch mehr Emotionen. Außerdem verspürten sie ein größeres Bedürfnis, ihre Gefühle vor allem online zu teilen.
Im dritten Experiment manipulierte Berger die Stimmung der Probanden, indem er ihnen nach einer kurzen Übung negatives Feedback gab. Der Sinn der Sache: Alle sollten tendenziell schlechte Laune bekommen.
Nun teilte er sie in verschiedene Gruppen. Die einen sollten über ihre Gefühle schreiben, aber nur für sich selbst. Die anderen hingegen rechneten damit, dass andere Personen diesen kurzen Aufsatz lesen würden. Und siehe da: Allein dieses Wissen sorgte dafür, dass sie sich wohler fühlten.
Bergers Fazit: „Soziale Netzwerke im Internet bieten emotional instabilen Personen eine Umgebung, um ihre Gefühle zu kommunizieren.“ Das erklärt vielleicht auch, warum viele Menschen dazu neigen, emotionale Extremsituationen mit ihrem Online-Freundeskreis zu teilen.
Mir jedenfalls half es am vergangenen Freitag enorm, dass sich sofort Mitmenschen meldeten, um mir ihr Beileid auszusprechen. Andere hingegen fanden es eher fragwürdig, dass ich den Tod meiner Oma sofort bei Facebook teilte.
Was würden Sie sagen – sollte man gewisse Dinge bei Facebook verschweigen?
Quelle:
Jonah Berger und Eva Buechel. Facebook Therapy: Why People Share Self-Relevant Content Online
Ich selbst finde es auch oft befremdlich, wenn auf Facebook wirklich private Informationen geteilt werden (wie im Beispiel oben), kann aber durchaus nachvollziehen, was sich die jeweiligen Inhaltsproduzenten ggf. davon versprechen bzw. welchen Zweck es für das eigene Wohlbefinden erfüllt. Ich denke auch, dass es ganz stark abhängig ist von der jeweiligen Plattform (ob ich z.B. in einem relativ \“privaten\“ Netzwerk auf Facebook poste oder aber auf twitter) und auch davon, wie sich mein Freundesnetzwerk zusammensetzt. Denn die (antizipierte) Reaktion meiner Freunde auf das was so von mir Preis gebe, spielt sicherlich auch eine große Rolle. Mir fällt da grad eine Studie von Kim und Lee ein, die 2011 in Cyberpsychology publiziert wurde und deren Ergebnisse dafür sprechen, dass Selbstoffenbarung über den empfundenen Social Support das Wohlbefinden beeinflusst.
Als ich das erste Mal bei Facebook eine Todesmeldung las, war ich etwas irritiert und verunsichert. Mittlerweile ist das bereits mehrfach geschehen und ich finde es gut, wobei ich ebenfalls davon ausgehe, dass jeder ganz persönlich und situativ entscheiden sollte, wie er derartige Situationen handhaben möchte.
Ich finde es deshalb mittlerweile gut, weil der Tod ein Teil unseres Lebens ist und so oft tabuisiert wird. Doch von einem Todesfall betroffen zu sein, gehört zu den tiefgreifendsten Erfahrungen eines Menschen und je mehr wir lernen, damit im Alltag umzugehen, auch in sozialen Netzwerken, desto einfacher wird es, diese Erfahrungen zu verarbeiten und den Tod ins Leben zu integrieren.
Hinzu kommt: Gerade solche Situationen – wie auch kollektive Unglücksfälle – verbinden Menschen untereinander, über das Oberflächliche hinaus. Das ist eine neue und aus meiner Sicht durchaus wünschenswerte Qualität, auch im Wirtschaftsleben.
Ob jemand derartige Erfahrungen bei Facebokk teilen möchte, hängt sicher auch mit der Persönlichkeitsstruktur zusammen. Manche Menschen verarbeiten so etwas lieber für sich – auch außerhalb sozialer Netzwerke – und andere können es besser im Austausch mit anderen.
Also: Keine starre Regel, aber Offenheit auf allen Seiten in Bezug auf den Umgang mit solchen Grenzsituationen.
Ich denke, die Entscheidung, ob man etwas bei Facebook posten „sollte“ oder ob dies „fragwürdig“ ist, sollte gerade in solch einer bedeutsamen Situation wie einem Todesfall einzig derjenige entscheiden, dem es passiert ist. Wenn dann jemand dazu posten, seiner Trauer Ausdruck verleihen und sich Freunden und Bekannten mitteilen möchte, dann ist das meiner Meinung nach in Ordnung und allein seine Entscheidung. Speziell in einem Netzwerk, dass auch oder größtenteils privat genutzt wird.
Ich habe dies, nachdem mein Vater im letzten Jahr gestorben ist, nicht getan, obwohl mir hin und wieder danach gewesen wäre und es mir vielleicht sogar geholfen hätte.
Wer nicht gibt, kann nicht teilhaben.
Social Media lebt davon, dass wir alle einen Teil von uns hinein geben.
Ich schätze es sehr, wenn Freunde (wie nah oder fremd auch immer) ihre Gefühle teilen. Und nicht nur ihre Links und Likes.
Ein besonders abschreckendes Beispiel Kniggianer Korrektness unter dem Mäntelchen von SocialMediaGetue ist da XING. Ich bin zwar sogar PremiumMitglied aber ausgesprochen ungern und selten dort. (Und habe einige schöne Kontakte von dort auf Facebook „umgeleitet“).
Fazit: Es kommt drauf an, was Du von einer SocialMedia-Plattform erwartest. Dementsprechend solltest Du die am besten auf Dich Zugeschnittene wählen.
Würde meine Oma sterben (ist schon tot), würde ich das übrigens auf Facebook als meiner vornehmlichen FamilienKontaktPlattform auf jeden Fall posten. Bei Xing nicht und bei Twitter würde ich den Umstand entsprechend anders formulieren.
@Schulze: Stimmt, sehr Facebook-spezifisch. Und ich gebe dir recht: Anmerkungen über Sexualität oder Ähnliches finde ich auch daneben. Die Frage ist bloß: Wie weit sollte man sein Gefühlsleben preisgeben?
Interessanter Bericht.
Allerdings sind die Ergebnisse ziemlich Facebook-spezifisch.
Ich bin sowohl bei Facebook als auch bei Twitter unterwegs.
Dabei fällt auf, dass man bei Facebook aufgrund des „EchtAvatars“ mit Sicherheit sehr viel vorsichtiger formuliert als wenn man die Möglichkeit hat, relativ anonym zu posten. Das birgt unleugbare Gefahren (Missverständnisse, Unflätigkeiten, Shitstorm) aber auch Potenzial.
Ich käme jedenfalls nicht im Traum auf die Idee, bei Facebook (wo ich z.T. mit Familie und Geschäftspartner „befreundet“ bin) fluffige Anmerkungen zu meinem Gesundheitszustand, meinen politischen Aufregungen, meine Rants oder mein Sexualleben zu machen.