Schon Kinder müssen lernen, mit Fehlern umzugehen. Laut einer neuen Studie lässt sich diese Fähigkeit entscheidend beeinflussen – und zwar dadurch, wie die Eltern selbst über Fehler denken.
Zu ihrem Geburtstag haben wir unserer Tochter ein Laufrad geschenkt. Ich ertappe mich nun ständig dabei, wie ich am liebsten jeden Meter neben ihr gehen würde, um sie im Zweifelsfall aufzufangen und ihr jeglichen Schmerz zu ersparen. Doch das wäre sinnlos.
Erstens kann ich sie ohnehin nicht ihr ganzes Leben lang immer und überall beschützen, selbst wenn ich das gerne würde. Zweitens muss sie lernen, hinzufallen – und wieder aufzustehen.
Und drittens ist es wichtiger, dass ich sie bei Fortschritten lobe und bei Rückschlägen tröste. Doch genau an diesem Punkt begehen viele einen entscheidenden Fehler.
Fatales Lob
Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass Eltern den Erfolg ihrer Kinder entscheidend prägen – egal ob es darum geht, Laufrad zu fahren, ein Instrument zu lernen oder in Klassenarbeiten gute Noten zu schreiben. Nun wäre es verlockend, die Kleinen bei Erfolgen ständig zu loben – allerdings kommt es dabei auf die Formulierung an.
Die US-Psychologin Carol Dweck fand in ihren Studien heraus, dass man Kinder zum Beispiel niemals für ihr Talent lieben sollte („Was für ein schlaues Kind du bist!“), sondern immer für ihre Leistung („Das hast du klasse gemacht!“).
Für eine Untersuchung ließ sie Fünftklässler einfache Geschicklichkeitstest absolvieren. Danach teilte sie den Schülern ihr Ergebnis mit. Der eine bekam zu hören: „Du bist wirklich schlau.“ Anderen wurde gesagt: „Du hast dich offenbar wirklich angestrengt.“ Während den einen also hohe Intelligenz unterstellt wurde, rühmte man die anderen für ihre Willensstärke und Leistungsfähigkeit.
Dann ging das Experiment in die zweite Runde. Jetzt hatten die Schüler die Wahl: Sie konnten sich entweder an einem schwierigeren Test versuchen oder an einem leichteren. Schon hier machte sich das unterschiedliche Feedback bemerkbar. Von den Kindern, die nach dem ersten Test für ihre Anstrengung gelobt worden waren, wählten 90 Prozent den schwierigeren. Wer ein Loblied auf seine Intelligenz erhalten hatte, wählte meist den leichteren Test.
„Wenn wir Kinder für ihre Intelligenz loben“, schrieb Dweck in ihrer Zusammenfassung, „lenken wir ihr Verhalten in bestimmte Bahnen.“ Dadurch entstehe bei ihnen Angst, Fehler zu machen und buchstäblich dumm dazustehen. Die Kinder in Dwecks Experiment wollten dieses Risiko vermeiden und wählten daher den leichten Test.
Kinder sollen lernen, dass Intelligenz und Kompetenz formbar sind, keine gottgegebenen Eigenschaften, die man hat – oder eben nicht.
Dutzende von Studien haben seit Dwecks ersten Experimenten gezeigt, dass diese Geisteshaltung, das so genannte mind-set, darüber entscheidet, wie Kinder Aufgaben angehen, Schwierigkeiten meistern und Rückschläge überstehen.
Immer wieder bemerkten Wissenschaftler: Jene mit einem fixed mind-set glauben, dass sie von Natur aus über eine gewisse Portion Intelligenz und Talent verfügen und daran nichts ändern können. Doch diese Einstellung wirkt sich auf ihr Verhalten aus. Wenn eine Aufgabe schwierig wird und sie zunächst nicht weiterkommen, zweifeln sie an ihren Fähigkeiten, geben schneller auf und erreichen letztendlich weniger.
Kinder mit einem growth mind-set hingegen erachten Intelligenz und Talent als flexible Größen, die sie selbst gestalten können – mit harter Arbeit, cleveren Herangehensweisen und entsprechender Anleitung. Die Folge: Sie sehen Schwierigkeiten als Herausforderung, die es zu lösen gilt – und nicht als Problem, vor dem sie kapitulieren.
In einer neuen Studie resümiert Dweck nun gemeinsam mit ihrer Doktorandin Kyla Haimovitz, dass sich diese Einstellung durch die Eltern beeinflussen lässt. Allerdings kommt es gar nicht so sehr darauf an, wie sie über Intelligenz und Talent denken – sondern wie sie über Fehler, Missgeschicke und Rückschläge denken.
Stress in der Schule
Aus zahlreichen Studien geht hervor: Probleme in der Schule – egal ob mit schwierigen Hausaufgaben oder schlechten Noten – gehören zu den stressigsten Erlebnissen im Leben eines Kindes.
Kein Kind kommt gerne mit einer schlechten Note nach Hause, denn es weiß: Die Eltern werden sich kaum freuen. Sollen sie natürlich auch nicht – aber in diesem Moment des Scheiterns ist es laut Dweck und Haimovitz entscheidend, wie genau sie reagieren.
Die einen halten Misserfolge für eine fürchterlich peinliche Angelegenheit. Dementsprechend reagieren sie negativ auf Fehler und Rückschläge – wütend, verschämt, frustriert, verärgert. Und es ist es wahrscheinlich, dass sie das Kind diese Gefühle spüren lassen oder sie sogar verbalisieren – weil sie leistungsorientiert denken. Dadurch senden sie jedoch die fatale Botschaft, dass Fehler etwas zutiefst Negatives sind, das man tunlichst vermeiden sollte.
Die anderen hingegen glauben, dass Menschen erst durch Rückschläge wachsen und durch Fehler lernen. Hat ein Kind etwas nicht so richtig gut gemacht, fokussieren sie sich darauf, was es noch lernen und künftig verbessern kann. Sie ignorieren den Rückschlag nicht, aber sie konzentrieren sich auf dessen Lektionen. Mit anderen Worten: Sie denken lernorientiert. Und das sendet eine wichtige Botschaft an die Kinder: Fehler sind in Ordnung. Wer daran arbeitet, stellt sie irgendwann ab.
Dweck ist überzeugt: Diese zwei Denkweisen prägen das tägliche Verhalten der Eltern und die Art, wie sie auf Fehler reagieren – und zwar mehr als ihre Meinung über Intelligenz. Aus einem einfachen Grund: Die Reaktion ist wesentlich stärker sichtbar.
Das bemerkten die Forscherinnen in verschiedenen Experimenten. In einem davon befragten sie 73 Eltern und ihre Kinder getrennt voneinander, wie sie über Fehler dachten. Und siehe da: Es bestand ein erheblicher Zusammenhang zwischen der Einstellung der Eltern und der ihrer Kinder. Dachten die Erwachsenen bei Fehlern vor allem an den Lerneffekt, ging es den Sprösslingen genauso.
Ein weiteres Experiment zeigte: Je peinlicher den Eltern Fehler waren, desto eher sorgten sie sich um schlechte Leistungen ihrer Kinder und zeigten das auch. Sie bemitleideten sie oder wollten sie für ihr mangelndes Talent trösten. Und dabei vergaßen sie, sich auf die Lerneffekte zu konzentrieren und ihre Unterstützung anzubieten.
Offenbar reicht es nicht, wenn Eltern ihr growth mind-set an die Kinder weitergeben, resümieren Haimovitz und Dweck. Viel wichtiger ist die Einstellung zu Fehlern – damit Kinder auch weiterhin motiviert dazu lernen. Egal ob auf dem Laufrad oder in der Schule.
Quelle:
Kyla Haimovitz and Carol Dweck (2016). What Predicts Children’s Fixed and Growth Intelligence Mind-Sets? Not Their Parents’ Views of Intelligence but Their Parents’ Views of Failure. Psychological Science
Per Zufall hier gelandet und dann gleich solch ein lesenswerter Beitrag der mich persönlich auch betrifft. Vielen Dank dafür, ich werde in Zukunft öfter vorbei schauen!
Meine jüngste Tochter (11) war früher sehr ängstlich. Dann begannen wir sie für ihren Mut zu loben. Letztes Jahr sprang sie von einem 10 Meter hohen Felsen ins Wasser. Gerade heute hat sie einen Tauchkurs absolviert (Ja, richtig mit Flasche und 12 Meter tief, eine Stunde unter Wasser 😉 und ist so wie wie wir unfassbar stolz auf ihre Leistung.
Ich habe den Tauchkurs mit ihr gemacht und bin immer noch völlig geflasht von der Erfahrung. Interessant in diesem Zusammenhang war auch ein Videotraining bei einer Freundin – einer Ergotherapeutin. Sie ließ uns 3 Szenen mit unserem Sohn durchspielen.
Eine Spielszene, eine Szene, in der wir etwas planten und eine Szene, in der wir ihn für etwas kritisierten. Besonders eindrücklich war für uns, dass wir die typischen Fehler ALLER Eltern machten. Wenn wir spielten verhielten wir uns körpersprachlich neutral ihm gegenüber, wenn wir ihn kritisierten, bekam er die meiste körpersprachliche Aufmerksamkeit (tiefer Augenkontakt, Anfassen, Intensität) und haben dadurch das kritisierte Verhalten aufgeladen. Das war eine erschütternde und zugleich zutiefst heilsame Erkenntnis für uns. Ich persönlich glaube ich nicht an die Kraft von Kritik.
Mir hat Kritik zwar ab und an geholfen mit zu verbessern, aber die damit vermittelten Scham- und Schuldgefühle waren kein toller Antreiber. Die meisten haben es trotz Trainings nicht drauf Kritik konstruktiv zu vermitteln. Es schleichen sich zu viele eigene Bewertungen ein. Also besser loben, loben, loben, großzügig sein und auch ´mal fünfe grade sein lassen. Schlechte Noten ignoriere ich, gute Noten und besondere Leistungen lobe und belohne ich.
Das hat sich über die Jahre als guter familientauglicher Mix erwiesen.
Erstaunliche Seite, die ich heute kennenlernen durfte.
Ich bleibe dran.
Im Grunde sties ich auf sie, weil „Fehlerbegehen“ und „Fehlervermeidung“ ein wichtiger Punkt in meinem Leben ist, seit frühesten Kindheitstagen!
Ein sehr schöner Text den ich aus persönlicher Erfahrung — selbst als Kind und als Trainer — gut nachempfinden kann. Die Bescheinigung als „intelligent“ zu gelten steht mir heute noch oft im Weg und hat sich während meiner Fahrschulzeit besonders manifestiert „Was ist, wenn ich hier durchfalle — angeblich sind doch alle so viel dümmer als ich. Oh man wäre das peinlich“.
Mittlweile denke ich sehr anders über Fehler und Ängste. Beides gehört zum alltäglichen Leben von Kindern und Erwachsenen dazu und hilft uns, uns weiterzuentwickeln. In meinen Gruppen ist es daher stets in Ordnung Fehler zu begehen, was dazu führt, dass die Kinder viel mehr über ihre Handlungen reflektieren und viel schneller lernen. Auch wenn immer noch Sätze fallen wie „Was wäre wenn?“, die lediglich Ausdruck der eigenen Angst einer eventuell bevorstehenden Strafe sind, falls sie nicht gut genug seien oder etwas falsch machen.
In dem Buch „Feel the fear and do it anyway“ von Susam Jeffers, spricht die Autorin sehr klar davon, dass die Überbeschützung der Eltern des eigenen Nachwuchses dazu führt, dss die Schützlige im späteren Leben Ängste entwickeln und dadurch Handlungsspielraum einbüßen. Hervorgerufen von: „Pass auf dich auf!“, „Sei ja vorsichtig“ usw.
Beste Grüße
@Marco: Das freut mich zu hören, vielen Dank! 4 Kinder? Meine Hochachtung. Wir sind nun bei zwei, aber ich denke, das reicht dann auch mal 😉
Hallo Herr Rettig,
als Vater von 4 Kindern (zwischen 1 und 7 Jahren) bin ich Ihnen sehr dankbar für den Beitrag. Und generell froh, dass Sie mal wieder hier schreiben. Ich weiß selbst um die Herausforderung einen Blog am Leben zu halten (pausiere kaufkraftschutz.de auch schon seit Monaten).
Beste Grüße
Marco Feiten
Guter Punkt! Das ist dann vielleicht noch mal was für einen neuen Artikel – „So loben Sie richtig“ 🙂
Danke für den Hinweis!
Danke 🙂
Ich glaube, das war (u.a.) aus diesem Buch hier:
http://www.amazon.de/dp/3934333419/
Das hat seinerzeit die Programmier-Ikone Jeff Atwood in seinem Blog empfohlen:
https://blog.codinghorror.com/how-to-talk-to-human-beings/
Für mich eines der besten Bücher im Umgang mit Menschen.
Ich habe in Psychologiebüchern gelesen, dass _inhaltliches_ Loben, welches schlicht beschreibt, was der Lobende sieht, wohl am Effektivsten ist.
Also nicht:
> „Das hast Du gut gemacht“
Sondern ganz konkret:
> „Du hast ganz alleine das Fahrrad aus der Garage geholt und bist zum Bäcker gefahren“
Das schlichte Beschreiben dessen, was man sieht, gibt dem Gelobten, so habe ich es verstanden, die Möglichkeit, sich selbst einzuschätzen und das wortwörtliche Selbstbewusstsein zu entwickeln.
Er denkt dann selbst „Wow, mein Papa hat erkannt, was ich geleistet habe — ich bin stolz auf mich!“
Außerdem finde ich es höflicher, wenn ich genau beschreibe, was ich sehe, anstatt einem pauschal dahergesagten „Gut gemacht“. Ich finde, ein ausführliches, beschreibendes Lob wertschätzt die Leistung des Gegenüber viel mehr, weil er auch sieht, dass ich mich ausführlich damit beschäftigt habe.
So mache ich das übrigens auch mit Erwachsenen, z.B. meinen Kollegen.