In aller Ruhe – Zeit zum Nachdenken fördert die Ehrlichkeit

Die schlechte Nachricht: Menschen neigen instinktiv zum Lügen. Die gute: Gibt man ihnen Zeit zum Nachdenken, sind sie ehrlicher. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie.

Bei Pinocchio war die Sache ziemlich einfach. Immer wenn die italienische Kinderbuchfigur jemanden anflunkerte, wuchs seine Nase. Im Alltag sind solche Lügen meist schwerer zu erkennen – und das ist einer der Gründe, warum Menschen häufig die Unwahrheit sagen.

Außerdem stehen wir häufig vor einem Konflikt. In manchen Situationen, egal ob im Beruf oder Privatleben, würden wir von einer Lüge einerseits womöglich profitieren – doch andererseits wollen wir uns moralisch korrekt verhalten. Folgt man dieser Argumentation, lügen wir immer dann, wenn der potenzielle Gewinn größer ist als die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden.

Doch laut einer neuen Studie spielt bei der Entscheidung „Wahrheit oder Lüge?“ noch ein anderer Faktor eine Rolle – und zwar der Faktor Zeit. Zu diesem Ergebnis kommen Psychologen um Shaul Shalvi von der Universität von Amsterdam in einer Studie, die bald im Fachjournal „Psychological Science“ veröffentlicht wird.

Im ersten Experiment setzten sich 76 Studenten in Einzelkabinen und erhielten einen Würfel samt Becher, der ein kleines Loch hatte. Die Probanden sollten nun würfeln und durch das Loch hindurchspinksen, welche Zahl sie gewürfelt hatten. Das Ganze sollten sie noch zwei Mal wiederholen – und den Wissenschaftlern dann mitteilen, welche Zahl sie im ersten Versuch gewürfelt hatten.

Denn danach richtete sich ihre Belohnung: Für eine Eins erhielten sie zehn israelische Schekel, also etwa zwei Euro, für eine zwei 20 Schekel, für eine drei 30 Schekel, und so weiter. Mit anderen Worten: Es gab einen erheblichen Anreiz dazu, die Forscher anzuflunkern – denn die hatten ja keine Ahnung, was die Freiwilligen gewürfelt hatten.

Doch Shalvi und Co. teilten die Probanden in zwei Gruppen: Die einen mussten die Übung innerhalb von 20 Sekunden beenden, die anderen konnten sich so viel Zeit lassen wie sie wollten. Und siehe da: Diese Unterscheidung wirkte sich erheblich auf die Ehrlichkeit aus. Zwar nahmen es beide mit der Genauigkeit nicht so ernst. Aber die Teilnehmer mit Zeitdruck übertrieben wesentlich stärker: Sie gaben an, im Durchschnitt eine Punktzahl von 4,6 erreicht zu haben. Die Kontrollgruppe kam eigenen Angaben zufolge auf 3,9. Beide Werte sind laut Wahrscheinlichkeitsrechnung übertrieben, denn der Erwartungswert liegt bei 3,5.

Im zweiten Versuch sollten 74 neue Probanden wieder heimlich würfeln, diesmal jedoch nur einmal. Jetzt sollte die eine Gruppe innerhalb von acht Sekunden ihre Punktzahl mitteilen, die andere Gruppe konnte sich wieder Zeit lassen. Erneut führte der Zeitdruck zum Flunkern, im Schnitt kam die Gruppe auf einen Wert von 4,4. Die Kontrollgruppe jedoch benahm sich vorbildlich – sie kamen auf 3,4. Mit anderen Worten: Sie sagten die Wahrheit.

Lügen unter Zeitdruck

Shalvi erklärt sich die Ergebnisse der Studie wie folgt: Zum einen neigten Menschen unter Zeitdruck dazu, instinktiv zu handeln. Und Eigennutz sei nun mal ein starker Antreiber, der selbst Flunkern rechtfertige – vor allem dann, wenn die Chance, ertappt zu werden, gleich null ist. Wer hingegen Zeit zum Nachdenken habe, besinne sich buchstäblich eines Besseren und erinnere sich daran, dass die Wahrheit langfristig immer noch besser ist.

Das zweite Experiment zeigt zudem: Menschen verhalten sich dann umso ehrlicher, wenn sie ihre Lügen nicht rechtfertigen können. Denn nur wer bei einem zweiten oder dritten Wurf eine höhere Zahl würfelt, bekommt die Gelegenheit, die womöglich niedrigere Zahl des ersten Wurfs zu revidieren.

Die schlechte Nachricht der Studie lautet also: Gibt man Menschen die Gelegenheit, dann verhalten sie sich meist unehrlich. Allerdings gibt es gleichzeitig auch eine gute Nachricht: Selbst bei völliger Anonymität neigten die Probanden dazu, die Wahrheit zu sagen. Und zwar dann, wenn man ihnen genug Zeit gab – und keine Gelegenheit zur Rechtfertigung.

Quelle:
Shaul Shalvi, Ori Eldar und Yoella Bereby-Meyer. Honesty requires time (and lack of justifications). Psychological Science (Forthcoming).

17 Kommentare

  1. Das ist eine sehr faszinierende Studie, vielen Dank! Die Ergebnisse finde ich auch recht nachvollziehbar, das schlechte Gewissen wächst erst über die Zeit und durch Nachdenken aus einem mulmigen Bauchgefühl – anders als Pinocchios Nase.

    LG und Dir eine schöne Osterzeit

    myMONK

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