Mangelt es Ihnen häufiger mal an Aufmerksamkeit und Konzentration? Dann sollten Sie vielleicht über Ihre Kleidung nachdenken: Einer neuen Studie zufolge kann das Tragen eines weißen Kittels unsere geistigen Fähigkeiten steigern.
Es war einmal ein Schneidergeselle namens Wenzel Strapinski. Der hatte kaum Geld, und trotzdem legte er immer Wert auf ein gepflegtes Äußeres – inklusive teurer Klamotten. Eines Tages wurde er deswegen für einen Adligen gehalten. Eine Tochter aus gutem Hause erblickte ihn, und die beiden verliebten sich ineinander.
Die Geschichte klingt nicht nur wie ein Märchen, sie ist es auch. Wenzel Strapinski ist der Protagonist in einer Novelle des Schweizer Dichters Gottfried Keller. Der Name des Werks: „Kleider machen Leute“. Der Satz gehört inzwischen nicht nur zum Standard-Repertoire jedes anständigen Sprücheklopfers – an seiner Kernaussage ist auch tatsächlich etwas dran.
Andere Wahrnehmung
Zahlreiche Studien konnten in den vergangenen Jahrzehnten beweisen, dass sich die Kleidung tatsächlich darauf auswirkt, wie andere uns wahrnehmen.
Gut angezogene Schüler gelten als intelligenter, bei Lehrern ist es dasselbe. Frauen, die sich beim Bewerbungsgespräch maskulin kleiden, werden angeblich eher eingestellt, in einem sexy Outfit gelten sie als weniger kompetent. Patienten bleiben einem schick gekleideten Therapeuten eher treu als einem leger angezogenen, und Kunden kaufen lieber, wenn der Verkäufer gut gekleidet ist.
Doch unsere Kleidung wirkt sich nicht nur auf andere aus, sondern auch auf uns selbst – und zwar auf ziemlich verblüffende Weise. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest der renommierte Psychologe Adam Galinsky von der Northwestern Universität in einer neuen Studie, die er gemeinsam mit seinem deutschen Gastforscher Hajo Adam erarbeitete.
Die Untersuchung trägt den Namen „Enclothed cognition“, was frei übersetzt so viel bedeutet wie „angezogene Wahrnehmung“. Ein Hinweis darauf, dass Kleidung im Zentrum der Studie stand. Genauer gesagt: weiße Laborkittel – das typische Accessoire jedes Arztes und Wissenschaftlers.
Diese Berufsgruppen genießen gemeinhin den Ruf, achtsam und sorgfältig zu sein. Und die Studie zeigt: Dieses Klischee wirkt sich auch unmittelbar auf die Träger eines Kittels aus.
Damit Sie die Experimente, die ich gleich beschreibe, besser nachvollziehen können, hier ein kurzer Test.
Lesen Sie bitte laut und deutlich folgende Wörter vor:
Rot Grau Blau Grün Schwarz
Okay, das war ziemlich leicht. Nun zur nächsten Aufgabe. Sprechen Sie jetzt bitte die Farbe aus, in der die Wörter geschrieben sind:
Rot Grau Blau Grün Schwarz
Schon schwieriger, oder?
Kommen wir zum letzten Teil. Sprechen Sie einfach wieder die Farbe aus, in der die Wörter geschrieben sind:
Rot Grau Blau Weiß Schwarz
Lassen Sie mich raten: Jetzt haben Sie noch länger gebraucht oder sind gar ins Stottern gekommen?
Letztlich liegt das an einer Sinnesüberreizung und einem Widerspruch der Hirnaktivitäten: Das Lesen einfacher Worte wie „Rot“ oder „Schwarz“ ist ein automatischer Akt, den wir kaum unterdrücken können.
Das Erkennen und Nennen von Farben dagegen erfordert unsere willentliche Konzentration und Analyse – erst recht dann, wenn die eigentliche Farbe und das Wort unterschiedlich sind. Dann kommt es zu erheblichen Verzögerungen – dem so genannten Stroop-Effekt, der seinen Namen dem US-Psychologen John Ridley Stroop verdankt. Die Übung wird heute auch als „Stroop-Test“ bezeichnet. Und das führt uns zurück zur Studie Galinsky und Adam.
Verblüffende Wirkung
In ihrem ersten Experiment reichten die beiden Wissenschaftler der einen Hälfte der 58 Probanden einen Kittel, der andere nicht. Nun sollten alle den Stroop-Test absolvieren und so schnell wie möglich sagen, welche Farbe bestimmte Wörter hatten. Mal entsprach diese Farbe der Bedeutung des Worts („rot„), mal war sie unterschiedlich („rot„).
Kaum zu glauben, aber wahr: Der Kittel wirkte sich erheblich auf die Leistungsfähigkeit aus. Die Teilnehmer mit Kittel machten bei den schwierigen Durchgängen („rot„) gerade mal halb so viele Fehler wie jene Teilnehmer ohne Kittel! Ein Indiz darauf, dass alleine das Tragen des Kittels die Aufmerksamkeit verbesserte.
Dieser Verdacht erhärtete sich in den weiteren Versuchen. Bei einem davon sollten die Probanden auf zwei fast identische Fotos schauen und die vier kleinen Unterschiede zwischen den Bildern finden. Vorab wurden sie in drei Gruppen geteilt: Gruppe A ging davon aus, einen Arztkittel zu tragen. Gruppe B wurde suggeriert, dass es sich dabei um den Kittel eines Malers handelte. Gruppe C behielt zwar ihre normalen Klamotten an, sollte aber vor dem Stroop-Test einen kurzen Aufsatz darüber schreiben, was sie mit dem Kittel eines Arztes verbinden.
Und siehe da: Wieder schlugen sich jene Teilnehmer am besten, die einen Kittel trugen. Doch noch verblüffender: Gruppe C erzielte bessere Resultate als Gruppe B. Offenbar sorgte die geistige Auseinandersetzung mit einem Arzt oder Wissenschaftler dafür, die Sinne buchstäblich zu schärfen.
Was war hier los? Zauberei? Mitnichten. Eher setze das Tragen bestimmter Kleidung entsprechende Assoziationen frei, resümieren die Wissenschaftler. Und weil wir mit dem Doktorkittel üblicherweise Sorgfalt und Achtsamkeit in Verbindung setzen, überträgt sich dieser Gedanke auch auf unser eigenes Verhalten: Wir werden selbst sorgfältiger und achtsamer. Kleider machen eben Leute – sogar stärker als bislang angenommen.
Und das führt uns zurück zum Schicksal von Wenzel Strapinski. Zwar sorgte ein eifersüchtiger Konkurrent dafür, dass dessen Tarnung aufflog und es bei der Hochzeit zum Eklat kam – doch der Liebe der beiden konnte das keinen Abbruch tun. Und wenn sie nicht gestorben sind…
Quelle:
Hajo Adam und Adam D. Galinsky (in press). Enclothed Cognition. In: Journal of Experimental Social Psychology.
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Dem kann ich nur absolut zu stimmen. Es beeinflusst sowohl uns selbst aber auch die Menschen mit denen wir zu tun haben.
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