Neigen alle Menschen zu Hybris? Was zwei Forscher bei einer Untersuchung von einer Million Marathonläufern herausfanden.
Ein Gastbeitrag von Michał Krawczyk
Sind Sie ein überdurchschnittlich guter Autofahrer? In Untersuchungen sagen fast alle Probanden: Ja, das bin ich. Dahinter steckt ein typisches Muster: Menschen überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten systematisch.
Diese Neigung hat längst nicht nur positive Folgen. Sie bringt uns zum Beispiel dazu, übermäßige Risiken einzugehen.
Ein Aktienhändler etwa, der seinen eigenen Kompetenzen zu stark vertraut, wird kaum die besten Entscheidungen treffen. Ein Verhaltensmuster, das Männer einer Studie zufolge häufiger zeigen als Frauen.
Allerdings könnte diese geschlechtsspezifische Diskrepanz am Design der Studien liegen. Dort lautet eine der Fragen meistens: „Sind Sie besser als der Durchschnitt in …?“ Womöglich antworten die Probanden darauf so, wie es von ihrem Geschlecht vermeintlich erwartet wird. Dann jedoch hätte das weniger mit Selbstüberschätzung zu tun.
Doch noch sind sich Wissenschaftler nicht einig: Gibt es auch demografische oder kulturelle Faktoren, die die menschliche Hybris beeinflussen?
Dieser Frage sind wir in einer neuen Studie nachgegangen. Dafür nutzten wir die Daten von Amateurläufern – denn Joggen ist eine Sportart, die in vielen Ländern beliebt ist, bei Männern und Frauen, Jungen und Alten, Armen und Reichen.
In der ersten Studie wurden die Teilnehmer des Warschauer Marathons gebeten, ihre eigene Endzeit vor dem Rennen vorherzusagen. Hinterher glichen wir Prognose und Resultat ab.
Und siehe da: Auch hier zeigte sich der Einfluss des Geschlechts. Zwar liefen die Männer im Schnitt schneller als die Frauen – allerdings auch wiederum nicht so schnell, wie sie dachten: Die Prognosen der Männer waren übertriebener als die der Frauen.
Außerdem machten wir eine interessante Beobachtung. Ausgerechnet jene Läufer – Männer und Frauen gleichermaßen – die sich besonders überschätzt hatten, zeigten im Rennen ein ähnliches Muster: Sie liefen schnell los und wurden dann umso schneller wieder langsam.
Kein Wunder: Wer glaubt, einen Marathon in unter drei Stunden beenden zu können, muss von Anfang an Gas geben – nur um dann festzustellen, dass er diese Geschwindigkeit nicht halten kann.
Anders formuliert: Die Geschwindigkeitsänderung während eines Marathonlaufs ist anscheinend ein gutes Indiz für Selbstüberschätzung.
Auf genau solche Tempowechsel achteten wir auch in einer zweiten Studie. Darin werteten wir die Daten von fast einer Million Marathonläufern aus verschiedenen Ländern aus.
Hier fanden wir vor allem vier Gruppen von Läufern, die ihre Geschwindigkeit im Verlauf des Rennens stark drosselten: Männer, Jugendliche und über 60-Jährige, Amerikaner und Asiaten sowie Menschen in eher konservativen Gesellschaften.
Ein gewisses Indiz dafür, dass sie mit zu viel Selbstbewusstsein starteten – und ihre Erwartungen im Verlauf des Rennens an die Realität anpassen mussten.
Offenbar hat Selbstüberschätzung also durchaus auch eine kulturelle Komponente – was einige Indizien für das Verhalten konservativer Politiker liefern könnte. Sie neigen womöglich eher zur Hybris – und entsprechend riskanten Entscheidungen.
Über den Autor
Michał Krawczyk ist Assistenzprofessor an der Universität von Warschau.
@Fragender: Ich kann nichts versprechen, versuche es aber…
Bereits der zweite Beitrag in diesem Jahr – ist damit zu rechnen, dass bald wieder regelmäßig ( so viele) Beiträge wie früher gibt?