Richard David Precht und die Einstiegsfrage

Am vergangenen Sonntag moderierte der Bestsellerautor Richard David Precht zum ersten Mal seine eigene Talkshow im ZDF. Aus dem Konzept könnte mal was werden – wenn der Gast denn auch zu Wort kommen würde.

Ich gebs ja zu: Ich hatte mich auf die Sendung gefreut. Ein Fragensteller, ein Befragter, eine knappe Stunde Zeit – genug, um den Gast ausführlich zu Wort kommen zu lassen, theoretisch zumindest. Praktisch verlief die Premiere von „Precht“ am vergangenen Sonntag ein bisschen anders. Hier die Anmoderation und die, nun ja: Einstiegsfrage von Precht an den Neurobiologen Gerald Hüther.

Precht: „Kinder, die heute eingeschult werden, gehen im Jahr 2070 in Rente. Weit in der Zukunft. Wir aber überhäufen sie mit einem Wissen, das aus der Vergangenheit stammt. An unseren Schulen werden die Kinder von den falschen Leuten nach den falschen Methoden in den falschen Dingen unterrichtet. ‚Vergesst unser völlig veraltetes Schulsystem‘, sagt der Hirnforscher Gerald Hüther. Gutenabend, Herr Hüther.“

Hüther: „Schönen guten Abend.“

Precht: „Herr Hüther, ein Kind, das Abitur macht, hat auf diesem Weg 100.000 Stunden Schulunterricht erlebt, erduldet, erlitten. Wenn man sich anschließend die Frage stellt: Was sind von diesen 100.000 Stunden eigentlich übrig geblieben? Dann wird das Ergebnis vermutlich ziemlich vernichtend ausfallen. Schon ein Erwachsener, der später mal die Aufgabe hat zu sagen, was hat er eigentlich in seinen Abiturklausuren geschrieben, was hat er im achten Schuljahr gelernt, der wird feststellen, dass der größte Teil des Wissens, den die Schule ihm vermittelt hat, wieder in Vergessenheit geraten ist. Ist das nicht ein unglaubliches ineffizientes System? Ist es nicht so, dass wenn die Schule ein Wirtschaftsunternehmen wär, sie längst pleite wär? Und ist es nicht so, dass wenn die Schule eine Gesellschaftsform wäre, diese Gesellschaft längst zusammengebrochen wäre, zerstört, durch den Widerstand ihrer Bürger, die sich das nicht länger gefallen lassen? Ist Bildung am Ende das, was übrig bleibt, wenn man alles das, was man in der Schule gelernt hat, wieder vergessen hat?“

Etwa zehn Minuten später habe ich ausgeschaltet.

„Precht“ in der ZDF-Mediathek

9 Kommentare

  1. Ihr Abschalten hat meine Widerspruchsgeist geweckt (Ein Relikt meiner Schulzeit). Ich habe die Sendung genossen. Ich schalte ein, weil ich Precht hören will, er hat es geschafft sogar Hüther beim Thema zu halten. Ich warte auf weitere Sendungen, aber bitte lieber im Radio, wo die nervösen Kameraleute nicht stören.

  2. Wir kommentieren das Neue immer mit dem Wissen des Alten. Wenn da jemand wagt, etwas Neues zu provozieren, stellt er praktisch ALLES in Frage. Nun sind wir eben durch die Schule darauf dressiert, immer nur „gesichertes Wissen“ zu akzeptieren, und das ist immer a) altes, b) Papierwissen und damit c) bestenfalls Gewusstes aber nicht Wissen. Es braucht aber meist nicht nicht einmal eine Überprüfung sondern nur ZEIT, um das Gewusste als fehlerhaft und damit d) nicht gewusstes Gewusstes zu entlarven. Was brleibt da von unserem gewohnten Wissen und damit von der Übermittler- bzw. Aufdrängsungsinstitution noch übrig?
    SCHULEN sind auch heute schon KEINE SCHULEN.
    Unsere Schulen sind das gerade Gegenteil dessen, was SCHULE bedeutet.
    Und davon wird in 10 Jahren – trotz äußerer Veränderungen – noch ziemlöich viel übrig sein. Was wir heute völlig irreführend als Schule bezeichnen, sind Unterrichtsvollzugsanstalten.
    Es genügt nicht, modernere Denkschablonen hin und her zu schieben, möchte man meinen, doch man erlebt ja. es genügt schon. Und dennoch ändert sich Schule weiter, das habe ich in den letzten 4 Jahrzehnten mit der Ich-kann-Schule erlebt. Aus meinen Ich-kann-Schule-Erfahrungen weiß ich ganz konkret, dass das, was Hüther fordert, schon lange praktisch möglich ist – für den, der es praktiziert. Ich treffe in meinen Vorträgen auch immer wieder Leute, die hartnäckig behaupten, dass nicht möglich ist, was ich praktisch erlebt habe. Und so ist es bestens verteilt: Wir können uns als Kinder die Schule meist nicht auswählen, aber wir müssen die uns aufgenötigte nicht ein Leben lang behalten. Die Lösung wäre für viele, das Loslassen zu üben.
    Guten Erfolg!
    Franz Josef Neffe

  3. Pingback: Precht
  4. Sowohl Hüther als auch Precht sind in meinen Augen polemische Schaumschläger, die sich mit Hilfe extremer Effekthascherei in Szene setzen wollen.
    Gerade Precht hätte mal ein vernünftiges Studienfach wählen sollen. In jedem Mathe/Physik Studium sind Leute mit einer solchen Lerneinstellung
    schlicht zum Untergang verdammt. Ich habe genug Erfahrung in effektivem Lernen und kann davon ein Lied singen. Natürlich könnte ich auch einfach
    Kunstgeschichte/Philosophie/Pädagogik, etc. studieren und fast ohne Lernen durchkommen, aber in jedem mathematisch/naturwissenschaftlichen Fach hat
    man sich damit geschnitten. Lernen ist natürlich nur mit Begeisterung möglich, aber die Tatsache Begeisterung für ein von mir selbst gewähltes Fach
    zu haben ist für mich nicht der rede Wert, sondern einfach selbstverständlich. Ich spreche hier nicht von Auswendiglernen, was ich ebenfalls für nicht
    besonders geistreich halte und auch an keiner Schule in den geschilderten Ausmaßen tun musste, sondern vom Schulen des (logischen/analytischen) Denkvermögens.
    Dies ist nun mal nur durch Training möglich und ja es Funktioniert genau wie das Training eines Muskels. Lernen ist geistige Anstrengung und
    erzeugt im Extremfall geistigen Schmerz, den man aber auf sich nehmen muss um seine Ziele (nämlich das Verständnis des Faches für das man sich begeistert) zu erreichen.
    Jeder der solche Sprüche wie „Lernen macht dumm“ von sich gibt, der hat noch nie richtig gelernt.
    Am effektivsten lernt man wenn man dazu gezwungen ist (China soll hier mal als Beispiel herhalten), was natürlich weder menschlich noch angenehm ist,
    aber ich zwinge mich dennoch selbst dazu, weil ich den Lernstoff verstehen will. Effektiver habe ich noch nie zuvor gelernt! Wenn ich dann solch einen
    Schwachsinn wie eingliedriges Schulsystem und gemeinsames Gruppenlernen höre, bekomme ich schon was zu viel. Das kenne ich auch zu Genüge aus meiner
    Schulzeit und solche Ideen kommen von eben solchen Schaumschlägern, die als Berater im Ministerium ihren Unfug verzapfen.
    Gruppenarbeit: 5 Schüler, einer kann es, woraus folgt: Er lernt nichts neues mehr, da ihn der an den Durchschnitt angepasste Lernstoff bereist langweilt.
    Die restlichen Vier freuen sich darüber nichts mehr machen zu müssen, da sie ohnehin keine Lust auf Lernen haben. Die eintönige Fleißarbeit bleibt
    schließlich an den Guten hängen. Deshalb: Selektion! Wir brauchen genau diese Erbsensortieranlage, um den Stoff auf die Lernenden anzupassen.
    Man muss immer den Lernstoff lernen, der einen fast überfordert, aber dennoch mit anstrengung zu verstehen ist. Hat man ihn verstanden und erlebt
    sein Erfolgserlebnis, dann sucht man sich etwas schwierigeres! Das ist effektives Lernen! Nicht der Lehrer kann für die Schüler lernen, sondern die Schüler
    müssen für sich lernen. Der Lehrer muss prinzipiell nur die Anforderungen vermitteln und anleiten was gelernt werden soll und Tipps geben wie man lernt.
    Lernen kann man am besten alleine! Wenn man etwas erklärt und vorgerechnet bekommt, dann versteht man es fast immer, aber davon kann man es noch lange nicht.
    Erst wenn man es ohne Hilfsmittel alleine lösen kann, hat man etwas wirlkich verstanden. Daher üben, üben, üben!
    Viele wollen das nicht hören, aber so ist es nun mal. Manche Schüler sind einfach zu faul (auch das kenne ich von mir selbst).
    Diese Schüler müssen sich selbst zum Lernen zwingen! Manche können nur schlecht analytisch denken.
    Diese Schüler sollen einfach eine andere Schluform (handwerkliche Ausbildung, etc.) wählen und ein Beruf der ihnen liegt ausüben.
    Man braucht nicht nur Akademiker, sondern auch Arbeiter! Das klingt hart, aber so ist die Realität.
    Wir brauchen Noten und Selektion, sonst ist ein Abschluss eben nichts mehr wert.
    Wer das anders sieht, kann auf die Waldorfschule gehen. Schulen sollen qualitativ hochwertig ausgebildete Kräfte liefern,
    die in der Wirtschaft gebraucht werden.
    Wer rausfliegt und es nicht schafft, wird Arbeiter oder Angestellter.
    Wenn es jemand nicht schafft, dann ist er entweder stärker in handwerklichen Tätigkeiten interessiert oder zu faul.
    Es sind jedenfalls nicht die Lehrer, die an allem Schuld sind. Ich höre auch immer den Spruch: „Der Lehrer hat es erklärt,
    keiner hat es verstanden, also sind wir dumm.“ Damit ist man dann schnell fertig und muss nichts mehr tun. Ich entgegne darauf:
    „Warum setzt ihr euch dann nicht zu Hause hin und lest die Erklärung des Lehrers erneut durch (Mitschreiben) und rechnet die Aufgabe
    anschließend so lange, bis ihr sie selbstständig lösen könnt und verstanden habt.“ Das könnte ja Arbeit machen, soll aber helfen!
    Mein Fazit: Wir brauchen Leistung und Selektion und wir brauchen mehr Eigenverantwortlichkeit. Die Schüler müssen den Stoff verstehen wollen
    und bereit sein Opfer dafür zu bringen. Wer das nicht einsieht ist selbst schuld!

  5. Ich habe mich auf die Sendung auch sehr gefreut – und habe durchgehalten. Die Einschätzung über Prechts Redeverhalten teile ich. Menschen die sonst immer selber in Talkshows zum Mitteilen ihrer Meinung eingeladen waren, müssen vermutlich erst lernen sich zurückzunehmen. Hoffen wir, daß Herr Precht schneller veränderungsfähig ist als unser Schulsystem. Sonst wird die Sendung ganz bestimmt keine 10 Jahre mehr überleben. Und was ein Hirnforscher zur ständigen Bewegung der Kamera sagen würde – das würde mich auch interessieren und wäre für mich ehrlich gesagt ein noch stärkerer Grund zum Abschalten gewesen als Prechts Dauermonologe.

  6. Kritik am Schulsystem ist berechtigt, aber die Dramatisierung war völlig übertrieben. In Zehn Jahren gibt es die Schule nicht mehr oder es gibt uns nicht mehr? Da holt Precht aber aus. Im Vergleich zu anderen Ländern ist unser Schulsystem sicher überholt, doch übersehen die Herren, dass die Abiturquoten sich in den letzten Jahrzehnten unausweichlich gesteigert haben. 50 Prozent machen in NRW heute ihr Abitur. Prechts tollkühne Vision von 80 Prozent Abiturienten ist daher eher so etwas wie unvermeidlich. Unser Schulsystem soll sich ändern (so wie immer schon). Die wichtigen Fragen aber sind: Was sind die Kritierien zur Bewertung und was genau soll sich ändern. Hüthers leere Drohung, dass wir Bildung nicht erreichen können, sondern nur den Rahmen schaffen, ist dabei nur eine Floskel. Auch der allgemeine Ruf nach Zensuren abschaffen, steht zum Beispiel erfolgreichen Praktiken in Amerika immer mehr Zensuren zu geben entgegen. Ich will das nicht verteidigen, aber es gibt ebenso Evidenzen, dass Zensuren Einflüsse haben können. Was mich am meisten ärgert, ist dass hierfür die Sendung Sloterdijks abgesetzt worden ist, denn dort wäre wenigstens noch eine ironische Notiz zum eigenen Erkenntnisvermögen aufgekommen.

  7. Lieber Herr Bormann,

    ich teile Ihre Einschätzung, dass man nicht immer alles kritisieren muss – aber ich persönlich finde es ein Unding, wenn beim Zuschauer der Eindruck entsteht, dass der Moderator sich am liebsten selbst reden hört und der eigentliche Gast nur Staffage ist. Daher mein frühes Abschalten.

    Herzlich,
    Daniel Rettig

  8. Lieber Herr Rettig,

    natürlich war Herr Precht sehr dominant, doch es wurden sehr viele Wahrheiten über das Schulsystem ausgesprochen. Die Kinder und Jugendlichen werden durch die bewertenden Zensuren vom leidenschaftlichen Lernen abgehalten. Weiterhin werden die falschen Schwerpunkte gesetzt, die im späteren Leben keine Relevanz mehr haben.
    Das Sie nach 10 Minuten abgeschalten haben, war Ihre persönliche Entscheidung, und man kann nicht allein dadurch die Sendung schlecht bewerten.
    Sollte unsere Gesellschaft nicht immer nur kritisieren und bewerten, sondern konstruktiv gemeinsam Ergebnisse erzielen.

    Mit den besten mentalen Erfolgsgrüssen,
    Swen-William Bormann 😉 If you can dream it, you can do it!

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