Dem Sprichwort zufolge wählen Menschen eher den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Anders formuliert: Kurzfristige Belohnungen sind ihnen lieber als auf größere warten zu müssen. Es sei denn, sie empfinden Macht und Einfluss.
Möglichkeit A: Sie erhalten heute 100 Euro. Möglichkeit B: Sie bekommen in einem Jahr 125 Euro. Was wäre Ihnen lieber? Fakt ist: Die meisten Menschen würden sich lieber für Option A entscheiden.
Seltsam? Vielleicht. Unerklärlich? Nein. Psychologen bezeichnen dieses Phänomen als „temporal discounting“. Darunter verstehen sie unsere Neigung, kleine, aber kurzfristige Belohnungen vorzuziehen anstatt auf größere zu warten. Lieber der sprichwörtliche Spatz auf der Hand als die Taube auf dem Dach.
So sind wir nun mal – meistens jedenfalls. Eine Ausnahme von dieser Regel haben jetzt zwei Wissenschaftler von der Universität von Southern California in einer neuen Studie entdeckt. Priyanka Joshi und Nathanael Fast entdeckten darin einen besonderen Mechanismus, der die Entscheidung beeinflusst: Macht.
Was haben Forscher in den vergangenen Jahren nicht alles über sie herausgefunden: Macht verändert die Selbstwahrnehmung, kann den Sadismus fördern und zum Lügen verleiten. Diese und andere Studien legten nahe, dass Macht gewissermaßen die dunkle Seite hervorbringt. Doch offenbar hat sie auch positive Folgen.
So lautet zumindest das Fazit von Joshi und Fast. In vier Experimenten teilten sie Hunderte von Personen immer in zwei Gruppen. Die eine Hälfte bekam die Rolle von Führungskräften zugeteilt oder erinnerte sich an eine Situation, in der sie Einfluss gehabt hatte. Die andere Hälfte fungierte als Untergebene oder dachte an eine Alltagssituation. Mit anderen Worten: Gruppe A wurde auf Macht gepolt, Gruppe B nicht.
Nun fragten Joshi und Fast alle Teilnehmer, was ihnen lieber wäre: 120 Dollar sofort gewinnen? Oder ein Jahr warten und umso mehr Geld erhalten? Und siehe da: Die Macht-Gruppe entschied sich wesentlich häufiger dazu, auf die größere Belohnung zu warten. Die andere Gruppe gab sich eher mit der kurzfristigen zufrieden.
„Macht steigert die Bereitschaft, auf größere Belohnungen in der Zukunft warten zu können“, schreiben die Forscher. Aber wieso?
Ein Grund für „temporal discounting“ ist die ungewisse Zukunft. Wer weiß schon, was der Morgen bringt. Und wegen dieser Unsicherheit entscheiden sich die meisten Menschen im Normalfall für die unmittelbare Belohnung.
Doch das Gefühl von Einfluss verleiht Sicherheit. Macht wirkt sozusagen als Puffer vor der Zukunftsangst. Und deshalb verleitet sie dazu, auf den Spatz in der Hand zu verzichten – und stattdessen lieber auf die Taube auf dem Dach zu warten.
Quelle:
Priyanka Joshi und Nathanael Fast. Power and Reduced Temporal Discounting, Psychological Science
Ich finde es interessant dieses Thema im Zusammenhang mit Macht zu betrachten. Ein anderer wichtiger Faktor, der solche Entscheidung beeinflusst, ist Selbstkontrolle. Das berühmte Marshmallow Experiment ist in diesem Zusammenhang lesenswert und auch sehenswert (auf youtube: “kids marshmallow experiment“- sehr süß anzuschauen…).