Teufelszeug – Warum macht Alkohol aggressiv?

Alkohol macht viele Menschen aggressiv. Aber warum? Eine neue Studie behauptet: Schon die gedankliche Konfrontation mit Alkohol steigert das Aggressionspotenzial – denn dadurch sinkt der Spielraum für Interpretation.

Kurze Frage: Welcher Aussage würden Sie eher zustimmen?
A: Alkohol macht die Menschen friedlich.
B: Alkohol macht die Menschen aggressiv.
Vermutlich sagen Sie sofort: B!

So verständlich diese Reaktion, so weitreichend die Folgen.

Alkohol verändert nicht unbedingt den Charakter – aber er macht ihn sichtbar. Ein Einblick, den man sich bisweilen gerne erspart hätte.

Diabolische Wirkung

„O du unsichtbarer Geist des Weins, wenn du noch keinen Namen hast, an dem man dich kennt, so heiße Teufel!“, heißt es schon in William Shakespeares „Othello“. Das Zitat deutet sie bereits an, die mitunter diabolische Wirkung von Bier, Schnaps oder Wein hin. Eine Wirkung, die sogar wissenschaftlich belegt ist.

Denn in den vergangenen Jahren sind Dutzende von Studien über die Psychologie des Alkoholkonsums erschienen, die vor allem einen Schluss zulassen: Alkohol macht aggressiv.

Aber warum?

Manche Wissenschaftler begründen den Effekt mit der pharmakologischen Wirkung. Demnach beeinflusst der Stoff die Exekutiven Funktionen. Dazu gehört zum Beispiel, die Aufmerksamkeit zu steuern, Entscheidungen zu treffen oder Handlungen auszuführen.

Doch wahr ist eben auch: Alkohol kann selbst Nüchternen das Gehirn vernebeln. Schon der Gedanke an Alkohol reicht, um die Aggressivität zu steigern.

Das legten die US-Wissenschaftler Bruce Bartholow und Adrienne Heinz bereits in einer Studie im Jahr 2006 nahe: Sahen die Probanden Fotos von alkoholischen Getränken, reagierten sie zumindest schneller auf Wörter mit Aggressionspotenzial als jene Probanden, die neutrale Bilder sahen. Und diese mentale Manipulation kann sogar das tatsächliche Verhalten beeeinflussen.

Zu diesem Ergebnis kam Bruce Bartholow 2007 in einer weiteren Studie. Hier sahen die Freiwilligen entweder Wörter, die mit Alkohol in Verbindung standen (Bier, Wodka) oder neutrale Begriffe (Wasser, Saft). Nach mehr als 100 Versuchen gaukelte er den Freiwilligen vor, dass der Computer abgestürzt sei und sie noch mal von vorne anfangen müssten. Sie durften den Versuchsleiter aber jetzt schon mal bewerten. Und siehe da: Die Alkohol-Gruppe zeigte sich unbarmherziger und gab ihm wesentlich schlechtere Noten.

Moralische Verrohung

Mit anderen Worten: Man muss gar keinen Alkohol trinken, um in den zweifelhaften Genuss seiner Wirkung zu kommen. Wer sich nur für Sekunden gedanklich mit Alkohol beschäftigt, zeigt bereits Anzeichen moralischer Verrohung.

Dieser Effekt deutet auf eine Art kulturelle Norm hin, dass mit dem Konsum von Alkohol eine gewisse Verantwortungslosigkeit einhergeht. Doch bislang war unklar, ob die gedankliche Beschäftigung mit Alkohol tatsächlich das körperliche Gewaltpotenzial steigert – und wenn ja, warum. Diesen Fragen widmete sich nun der US-Psychologe William Pedersen von der California State Universität.

Im ersten Experiment seiner neuen Studie sollten 168 Studenten fünf Minuten lang einen Aufsatz schreiben, der hinterher von einem Kommilitonen bewertet wurde. Das dachten die Freiwilligen zumindest.

Nach der Schreibaufgabe absolvierten die Teilnehmer noch einen weiteren Test. Auf einem Monitor tauchten blitzschnell verschiedene Buchstaben auf. Die Aufgabe lautete, die Wörter zu erkennen. Allerdings blendete Pedersen zwischendurch für 34 Millisekunden verschiedene Wörter ein – gerade lang genug, dass die Probanden sie wahrnahmen. Mal handelte es sich bei den Begriffen um alkoholische Getränke wie Bier und Wein, mal um nichtalkoholische wie Milch und Wasser.

Im Anschluss erhielten die Studenten die Bewertung ihres Aufsatzes. Mal war sie eindeutig negativ, fast schon beleidigend: „Das ist einer der schlechtesten Aufsätze, die ich je gelesen habe.“ Mal war sie bewusst offen formuliert: „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“ Die Teilnehmer wussten also nicht genau, ob nun eine gute oder schlechte Bewertung folgte.

Zum Schluss hielten alle Teilnehmer ihre Hand in einen Eimer, der mit zehn Grad kaltem Wasser gefüllt war. Genau das werde der Prüfer ihres Aufsatzes auch tun müssen, sagte Pedersen – wenn die Studenten es wünschten. Sie konnten sich auch aussuchen, wie lange er die Hand hineinhalten musste.

Lust auf Revanche

Wenig überraschend: Erhielten sie eindeutig negatives Feedback, wollten sie sich unbedingt rächen. Rhetorische Gewalt erzeugte Gegengewalt. Unabhängig davon, ob sie vorher Alkoholbegriffe gesehen hatten oder nicht. Völlig anders war die Reaktion allerdings, wenn die Bewertung ambivalent war. Hier wollten sich vor allem jene rächen, die vorher Alkoholbegriffe gesehen hatten.

In einem weiteren Experiment erhielt Pedersen dasselbe Ergebnis. Allerdings verschwand der Effekt, wenn er die Freiwilligen mit einer weiteren Aufgabe beschäftigte. Nach sieben Minuten Ablenkung wollten sich schon wesentlich weniger Probanden rächen, nach 15 Minuten war die Lust auf Revanche so gut wie verschwunden.

Schon die gedankliche Konfrontation mit Alkohol macht also durchaus aggressiv – denn Alkohol verringert den Spielraum für Interpretation. Anders formuliert: Womöglich tendieren Menschen unter Alkoholeinfluss dazu, selbst neutrale Wörter und Taten als persönlichen Angriff zu verstehen – und reagieren ihrerseits mit Aggressivität und Gewalt.

Quelle:
William Pedersen et al (2014). Are You Insulting Me? Exposure to Alcohol Primes Increases Aggression Following Ambiguous Provocation. Personality and Social Psychology
Bulletin

5 Kommentare

  1. Hallo Hansruedi,
    ich antworte, weil mein Lebenspartner wohl Alkoholiker ist. Sein Alkoholkonsum hat sich im vergangenen Jahr deutlich erhöht. Hinzu ist auch ein aggressives Verhalten gekommen, das sich gegen mich richtet.
    Es verläuft ähnlich, wie sie es beschrieben haben, und in der letzten Zeit stand am Ende, als die Benommenheit so stark war, Schwindel mit daraus resultierendem Sturz.
    Das mitzuerleben ist sehr schlimm für mich, weil die Stürze mit (leichten) Verletzungen verbunden waren und mein Partner den Zusammenhang mit seinem Alkoholkonsum leugnet und die Aggression immer wie aus heiterem Himmel kommt.
    Ich tue mich auch schwer mit der medizinischen Einstufung des Alkoholismus als Krankheit, aber sei’s drum.
    Das Leben mit einem Alkoholiker ist schwierig, dieses sporadisch auftretende aggressive Verhalten ist beängstigend und die Stürze (bisher zweimal in den vergangenen zwei Wochen) machen mir auch Sorgen.
    Er hatte mir zwar vor einiger Zeit von „beinahe Stürzen“ berichtet – tagsüber und völlig nüchtern.
    Seiner Meinung nach wurden sie durch Kurzatmigkeit und Kreislaufprobleme ausgelöst.
    Aber diese beiden Stürze in den letzten Wochen lagen eindeutig an seinem Trinken.
    Das ist alles sehr bedrückend für mich.
    Ich weiss nicht, ob sie das noch lesen, weil dieser Thread schon ein paar Jahre alt ist, aber
    ich musste mir das einmal von der Seele schreiben.

  2. Das ist nun einer der besten Artikel den ich zum Thema Alkohol und Aggressivität bis jetzt gelesen habe. Ich hatte / habe insgesamt mit 4 Alkoholikern zu tun und kann sagen, dass in einer frühen Phase die Aggressivität mit der Trinkmenge steigt, je mehr getrunken wird je aggressiver wird die Person, je aggressiver die Person wird je mehr trink sie, dies geht so lange bis sie vor Übermüdung einschläft, nach meiner Erfahrung kann das Stunden dauern! In einer Fortgeschrittenen Phase braucht es nur ganz wenig Alkohol damit die Aggressivität „durchbricht“ Wird dann weiter getrunken steigt die Aggressivität überproportional. In einer noch späteren Phase folgt dann nach der Aggressivität eine echte Verhaltensstörung, die Person ist nicht mehr aggressiv weil sie Probleme sich selber noch zu kontrollieren hat (Umfallen, Schwanken, völlig Apathisch), wie lange es in dieser Phase dann noch geht bis zu einem Korsakow, Organversagen, etc. weiss ich nicht, ich sehe aber, dass die einzelnen Phasen sich verkürzen, das Karussell dreht also immer schneller! Für Familienangehörige ist ein Alkoholiker ein grosses Problem, ich sehe eigentlich nur 2 „Auswege“ wenn man überhaupt von Auswegen sprechen kann: Man trennt sich von dieser Person und lässt sie alleine in ihrem „Rauschleben“ oder aber vollständige Abstinenz mit Antabus (ein Medikament das ein Erbrechen hervorruft bei der geringsten Einnahme von Alkohol) mit knallharter Überwachung der „kranken“ Person!

    Zum Thema Krankheit möchte ich nur ganz kurz etwas schreiben: Aus meiner Sicht (als Familienmitglied eines Alkoholikers) kann ich sagen, dass Alkoholismus keine richtige Krankheit ist, der Alkoholiker verursacht seine „Krankheit“ selber und versteckt sich dann immer in seiner angeblichen „Krankheit“…

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