Egal ob bei schönen oder traurigen Anlässen – unseren Lieblingsliedern lauschen wir immer gerne. Aber warum mögen wir auch unbekannte Töne und Klänge? Und was passiert im Gehirn, wenn wir ein neues Lied hören?
Die einen stehen auf Rock, die anderen auf Klassik, wieder andere auf Jazz – aber jeder mag Musik. Was für die meisten Menschen völlig normal, ist für Wissenschaftler ein interessantes Forschungsgebiet. Auch deshalb, weil Musik Emotionen auslöst. Und zwar messbar.
Die kanadischen Neurologen Anne Blood und Robert Zatorre untersuchten zum Beispiel für eine Studie im Jahr 2001 fünf Männer und fünf Frauen zwischen 20 und 30. Diese lauschten im Labor abwechselnd ihren Lieblingsliedern und neutralen Stücken. Währenddessen überwachten die Wissenschaftler ihre Herzfrequenz und Atmung.
Ergebnis: Bei der Lieblingsmusik war nicht nur der Puls höher und die Atmung schneller. Außerdem waren auch jene Bereiche des Gehirns aktiver, die angenehme Gefühle signalisieren.
Ein bemerkenswertes Ergebnis. Denn Musik ist weder für das biologische Überleben noch für die Fortpflanzung notwendig. Dennoch scheint unser Gehirn auf bestimmte Musik besonders anzuspringen. Zumindest dann, wenn wir unseren Lieblingsliedern lauschen. Aber wieso finden wir auch unbekannte Lieder schön?
Dieser Frage widmete sich jetzt die kanadische Neurowissenschaftlerin Valorie Salimpoor von der McGill Universität in einer neuen Untersuchung. 19 Freiwilligen, neun Männer und zehn Frauen, schenkte sie zunächst zehn Dollar. Alle lauschten nun jeweils 30 Sekunden lang 60 verschiedenen Liedern – und zwar solchen, die sie noch nie zuvor gehört hatten.
Nun sollten die Freiwilligen angeben, wie gut ihnen ein Lied gefallen hatte, wie sie sich fühlten und wie viel Geld sie für das Lied ausgeben würden (von null bis zwei Dollar). Währenddessen lagen die Probanden in einem fMRT – eine Maschine, die dreidimensionale Bilder des Gehirns erzeugt und Informationen über dessen Aktivität liefert.
Und siehe da: Es gab einen Zusammenhang zwischen der Hirnaktivität und der Höhe des Einsatzes. Bei jenen Liedern, für die sie besonders viel Geld ausgaben, reagierte ihr Gehirn am stärksten – und zwar vor allem der so genannte Nucleus accumbens. Dieser sitzt in etwa hinter unserer Nase und gehört zum Belohnungssystem. Jene Hirnregion, die unter anderem auf schöne Erlebnisse wie Essen oder Sex anspringt – aber offenbar auch auf jene Töne und Klänge, die wir zum ersten Mal wahrnehmen.
Dabei arbeiten zwei Systeme zusammen, vermutet Salimpoor. Der auditorische Kortex, also das Hörzentrum in der Großhirnrinde, sei dafür zuständig, einzelne Töne und Klänge zu verarbeiten und zu speichern. Womöglich erkennt diese Region also einzelne Fragmente wieder, die uns früher schon mal gefallen haben. Dann wird zusätzlich der Nucleus Accumbens aktiv. Er sorgt dafür, dass uns ein Lied gefällt – und verdeutlicht obendrein, wie viel Geld wir dafür ausgeben.
Quelle:
Valorie Salimpoor et al (2013). Interactions Between the Nucleus Accumbens and Auditory Cortices Predict Music Reward Value. Science, Band 340, Seite 216-219
Musik und Emotionen
Das größte Problem bei der Beantwortung der Frage, wie Musik Emotionen erzeugt, dürfte die Tatsache sein, dass sich Zuordnungen von musikalischen Elementen und Emotionen nie ganz eindeutig festlegen lassen. Die Lösung dieses Problems ist die Strebetendenz-Theorie. Sie sagt, dass Musik überhaupt keine Emotionen vermitteln kann, sondern nur Willensvorgänge, mit denen sich der Musikhörer identifiziert. Beim Vorgang der Identifikation werden die Willensvorgänge dann mit Emotionen gefärbt. Das gleiche passiert auch, wenn wir einen spannenden Film anschauen und uns mit den Willensvorgängen unserer Lieblingsfigur identifizieren. Auch hier erzeugt erst der Vorgang der Identifikation Emotionen.
Weil dieser Umweg der Emotionen über Willensvorgänge nicht erkannt wurde, scheiterten auch alle musikpsychologischen und neurologischen Versuche, die Frage nach der Ursache der Emotionen in der Musik zu beantworten. Man könnte diese Versuche mit einem Menschen vergleichen, der einen Fernsehapparat aufschraubt und darin mit einer Lupe nach den Emotionen sucht, die er zuvor beim Ansehen eines Films empfunden hatte.
Doch wie kann Musik Willensvorgänge vermitteln? Diese Willensvorgänge haben etwas mit dem zu tun, was alte Musiktheoretiker mit „Vorhalt“, „Leitton“ oder „Strebetendenz“ bezeichnet haben. Wenn wir diese musikalischen Erscheinungen gedanklich in ihr Gegenteil umkehren (der Ton strebt nicht fort, sondern ich will, dass der Ton bleibt), dann haben wir im Prinzip den Willensinhalt gefunden, mit dem sich der Musikhörer identifiziert. In der Praxis wird dann alles noch etwas komplizierter, so dass sich auch differenziertere Willensvorgänge musikalisch darstellen lassen.
Weitere Informationen erhalten Sie über den kostenlosen Download des fünfteiligen Artikels „Warum klingt Moll traurig? Die Strebetendenz-Theorie erklärt das Gefühl in der Musik“ des Onlinemagazins „musik heute“ unter dem Link:
http://www.musik-heute.de/tags/strebetendenz-theorie/
oder über den kostenlosen Download des E-Book der Universität München „Musik und Emotionen – Studien zur Strebetendenz-Theorie“:
http://ebooks.ub.uni-muenchen.de/26791/
Bernd Willimek
Bemerkenswertes Ergebnis zur Hirnaktivität. Danke für den Artikel.