Ungleichheit fördert die Sehnsucht nach einem starken Anführer

Laut einer neuen Studie wirkt sich das Gefühl von ökonomischer Ungleichheit auch auf die politischen Vorlieben der Bürger aus – durch ein höheres Bedürfnis nach einem starken Anführer.

Donald Trump in den USA, Jair Bolsonaro in Brasilien, Rodrigo Duterte auf den Philippinen – derzeit sind weltweit einige Männer an der Macht, die für eine spezielle Art der Amts- und Menschenführung stehen. Für einen Politikstil, den man umgangssprachlich auch als „harte Hand“ bezeichnet.

Nun sind diese tough guys nicht durch einen Putsch, sondern im Zuge demokratischer Wahlen an die Macht gekommen. Und das liegt offenbar nicht nur daran, dass sie für gewisse Wähler attraktiv sind. Sondern auch daran, dass sich diese Wähler in Zeiten ökonomischer Unsicherheit besonders nach einem starken Anführer sehnen.

Das legt jedenfalls eine neue Studie nahe, für die die Psychologieprofessorin Jolanda Jetten von der australischen Universität von Queensland mit insgesamt 39 Kollegen weltweit kooperierte.

Für den ersten Teil ihrer Studie befragten die Forscher knapp 6200 Studierende an 30 verschiedenen Hochschulen in den USA, Südamerika, Europa, Asien und Australien. Sie sollten zum einen angeben, ob sie in ihrem Land eine besonders starke Ungleichheit empfanden und ob sie das Gefühl hatten, dass die Gesellschaft langsam zerfalle. Waren sie außerdem der Meinung, dass ihr Land derzeit vor allem einen starken Anführer braucht?

Im zweiten Schritt bestimmten die Wissenschaftler anhand des Gini-Koeffizienten, einem statistischen Maß zur Berechnung von Einkommens- und Vermögensverteilungen, die tatsächliche Ungleichheit in den jeweiligen Ländern.

Und siehe da: Sowohl die subjektiv empfundene wie auch die objektiv messbare Ungleichheit hingen eng mit der Sorge eines Zerfalls der Gesellschaft sowie dem Bedürfnis nach einem starken Anführer zusammen.

Nun lässt diese Methodik noch keine Rückschlüsse zu, ob das Gefühl der Ungleichheit wirklich ursächlich für die Sehnsucht nach der harten Hand ist. Deshalb wechselte Jetten für eine weitere Studie ins Labor.

Knapp 400 Probanden sollten sich vorstellen, in einem fiktiven Land namens Bimboola zu leben. Alle verdienten pro Jahr 40.000 Einheiten der Landeswährung. Nun teilte Jetten die Freiwilligen in zwei Gruppen.

Die eine Gruppe erfuhr, dass die Höchstverdiener pro Jahr 77.000 Einheiten verdienten, die Geringverdiener aber nur 3000 – es herrschte also hohe Ungleichheit. In der zweiten Gruppe erhielten die Topverdiener 50.000 Einheiten, die Geringverdiener aber immerhin 30.000. Es herrschte also weniger Ungleichheit.

Nun sollten sich alle vorstellen, gewisse Dinge zu erwerben, ein Haus oder ein Auto etwa. Doch in der Gesellschaft mit hoher Ungleichheit konnte sich die Oberschicht wesentlich teurere Sachen gönnen – große Villen, teure Sportwagen oder luxuriöse Reisen. Derweil mussten sich jene am unteren Ende der Nahrungskette mit alten Dingen abfinden.

Wer ein höheres Maß an Zerfall befürchtete? Genau: Die Gruppe mit hoher Ungleichheit. Und wer sich starker nach einem Anführer sehnte? Exakt: Die Gruppe mit hoher Ungleichheit. „Ungleichheit fördert die Empfänglichkeit für autoritäre Werte“, schreibt Jetten in der Studie.

Émile Durkheim würde das vermutlich nicht überraschen. Der französische Soziologe prägte einst den Begriff der Anomie. Darunter verstand er vereinfacht gesagt einen Zustand, in dem die Gesellschaft sprichwörtlich aus den Fugen geraten ist. Dann etwa, wenn die Bürger das Vertrauen in Politiker und Institutionen verloren haben.

Und dieses Chaos, das legt jedenfalls Jettens Studie nahe, soll der starke Anführer lösen. Ob er sich dabei auch an demokratische Spielregeln hält, ist zweitrangig. Hauptsache, er stellt die Ordnung wieder her.

Quelle:
Jolanda Jetten et al (2019). „Our Country Needs a Strong Leader Right Now“: Economic Inequality Enhances the Wish for a Strong Leader, Psychological Science, Seite 1-13