Gang nach Canossa – Die Wahrheit als Pflicht

Es erscheint verlockend, nach einer großen Schwindelei oder einer kleinen Notlüge nur mit einem Teil der Wahrheit rauszurücken. Doch wer sich wirklich besser fühlen will, sollte seine Tat komplett gestehen.

Der Mensch wäre gerne ehrlich und gut, doch leider klappt das nicht immer. Regelmäßig verhalten wir uns anderen gegenüber mies, mal durch große Schwindeleien, mal durch kleine Notlügen. Doch egal ob es aus Absicht geschieht oder aus Versehen: Hinterher tut es uns meistens leid. Dann wollen wir Schuld abladen, unser schlechtes Gewissen erleichtern und Vertrauen zurückgewinnen.

Aber wie verhalten wir uns im Angesicht der Lüge: Gestehen wir tatsächlich die ganze Wahrheit oder nur einen Teil? Und wie wirkt sich der Umfang dieses Geständnisses auf unser Wohlbefinden aus?

Diesen Fragen widmete sich nun der israelische Psychologe Eyal Peer von der Carnegie Mellon Universität in einer neuen Studie.

In einem Versuch beteiligten sich knapp 2200 Personen an einem virtuellen Spiel. Die Aufgabe war leicht: Sie sollten schätzen, ob eine Münze bei zehn Versuchen Kopf oder Zahl zeigen würde. Für jeden richtigen Tipp erhielten sie zehn Cent extra.

Nun gingen die Probanden davon aus, dass der Wissenschaftler nicht nachvollziehen konnte, ob sie ihm die Wahrheit sagten. Mit anderen Worten: Sie hatten einen Anreiz zu lügen.

Direkt im Anschluss gab Peer ihnen die Chance, diese Lüge zu korrigieren – allerdings ohne negative Folgen. Sie konnten also ihr Gewissen reinwaschen, ohne im Gegenzug auf Geld verzichten zu müssen.

Dabei machte der Forscher zwei interessante Beobachtungen. Zum einen war die Zahl derer, die ihn betuppen wollten, ziemlich beträchtlich. Jeder Dritte machte falsche Angaben. Jeder Zehnte behauptete gar, er habe zehn Mal richtig gelegen.

Doch zum anderen entdeckte Peer: Der Gang nach Canossa war abhängig von der Schwere der Tat. Wer die Wahrheit nur ein bisschen geschönt hatte, gestand hinterher lieber komplett. Ganz anders war es bei denen, die vollkommen betrogen hatten: Sie zogen es vor, nur einen Teil der Lüge zu korrigieren.

Peer hält es für denkbar, dass die Schwere der Schuld zu einem gedanklichen Kompromiss führt. Der Übeltäter will einerseits die negativen Gefühle loswerden, die durch sein ethisch verwerfliches Verhalten aufkommen. Andererseits will er die verbotene Frucht ein wenig genießen, sonst hätte er ja gleich bei der Wahrheit bleiben können. Deshalb scheint ein Teilgeständnis attraktiv.

Der Psychologe entdeckte auch einen Grund für dieses Verhalten: Die Befragten hielten es tendenziell für glaubwürdiger, wenn sie nicht alles gestanden. Doch dabei vergaßen sie einen entscheidenden Faktor: ihre Gefühle.

Im letzten Versuch fragte er die Testpersonen nach ihren Erfahrungen im wahren Leben. Und siehe da: Teilgeständnisse erleichterten das schlechte Gewissen so gut wie gar nicht. Mehr noch: Im Endeffekt fühlten sich die Personen, die nur ein Teilgeständnis ablegten, schlechter als jene, die direkt die ganze Wahrheit sagten – und sogar mieser als jene, die überhaupt nicht gestanden. Vermutlich deshalb, weil Menschen nach einem Teilgeständnis nicht die ganze Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen.

„Ein Teilgeständnis erschient attraktiv“, sagt Peer, „doch es verursucht ungeahnte emotionale Kosten.“ Wer sein Gewissen also wirklich reinwaschen will, sollte lieber ganz auspacken. Oder am besten bei der Wahrheit bleiben. Wie sagte schon der US-Präsident Abraham Lincoln: „Keines Menschen Gedächtnis ist so gut, dass er ständig erfolgreich lügen könnte.“

Quelle:
Eyal Peer, Alessandro Acquisti und Shaul Shalvi (2014). „I Cheated, but Only a Little“: Partial Confessions to Unethical Behavior, Journal of Personality and Social Psychology, Band 106, Nummer 2, Seite 202-217

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