Wer ein Ziel erreichen will, sollte seinen eigenen Fortschritt nicht so genau wie möglich kontrollieren. Laut einer neuen Studie ist gelegentlicher Selbstbetrug sinnvoller – denn der fördert die Motivation.
Seit ein paar Wochen führe ich eine Strichliste. Jeden Tag schreibe ich genau auf, wie viele Stunden ich netto gearbeitet habe. Außerdem teile ich den Tag in 75- und 90-Minuten-Schichten. Währenddessen gehe ich weder ans Telefon noch checke ich E-Mails, und Facebook, Twitter und Co ignoriere ich ebenfalls – für einen Journalisten leichter gesagt als getan.
Abends bin ich meist ziemlich erschrocken, wie viel Zeit für Pausen draufgegangen ist. Mehr als sechs Stunden reine Arbeitszeit, also mit voller Konzentration, ohne jegliche Ablenkung, habe ich bislang noch nicht geschafft. Die freiwillige Arbeitszeiterfassung ist für mich eine schöne Art der Selbstkontrolle – aber eine, die mich meinen Zielen nicht wirklich näher bringt. Denn dafür wäre es viel sinnvoller, mich ein wenig selbst zu betuppen.
Das behauptet zumindest die amerikanische Doktorandin Szu-Chi Huang von der Universität von Texas in einer neuen Studie, die demnächst im „Journal of Personality and Social Psychology“ erscheinen wird.
In insgesamt vier Studien ließ sie Hunderte von Probanden verschiedene Aufgaben lösen. Bei einem Versuch sollten sie am Computer Rätsel lösen, bei einem anderen T-Shirts für wohltätige Zwecke sammeln. Dabei sollten sie jedes Mal zu verschiedenen Zeitpunkten ihr bisheriges Pensum einschätzen. Und dabei zeigten sich zwei interessante Dinge.
Subtiler Selbstbetrug
Erstens war die Genauigkeit der Schätzung immer abhängig davon, wie wichtig den Probanden die Aufgabe war. Sollten sie T-Shirts für das von einem Erdbeben zerstörte Haiti sammeln, übertrieben es die Probanden anfangs mit ihrer Schätzung. Mit anderen Worten: Sie gaukelten sich selbst vor, dass sie bereits mehr geschafft hatten als tatsächlich der Fall war.
Ganz anders verhielten sich die Probanden, wenn sie bereits einiges geleistet hatten. Jetzt neigten sie dazu, ihr Pensum zu unterschätzen. Und in allen Experimenten zeigte sich: Dieser subtile Selbstbetrug wirkte sich tatsächlich auf die Motivation aus.
Bei einem Computerspiel konnten die Freiwilligen 800 Punkte erzielen. Wer noch mal eine Extraschicht einlegte und 21.500 Punkte ergatterte, dem winkte als Belohnung eine limierte Anstecknadel der Universität. Wieder zeigte sich: Wenn die Teilnehmer diesen Preis unbedingt haben wollten, übertrieben sie es am Anfang der Aufgabe mit ihrem erzielten Fortschritt – und übertrieben es gegen Ende auch mit der verbleibenden Reststrecke. Und dadurch blieben sie motiviert.
Offenbar ist die Einschätzung des eigenen Pensums längst nicht immer akkurat – und nach Aussage der Studie muss sie das auch gar nicht sein. Demnach hilft die gelegentliche Flunkerei dabei, motiviert zu bleiben und das Ziel im Auge zu behalten.
Quelle:
Szu-chi Huang, Ying Zhang und Susan Broniarczyk (2012). So Near and Yet So Far: The Mental Representation of Goal Progress. Journal of Personality and Social Psychology