Zuckerbrot statt Peitsche – Kinder profitieren von liberaler Erziehung

Eine neue Studie resümiert: Kinder profitieren keineswegs von einer harten und strengen Erziehung. Stattdessen sollten Eltern und Lehrer ihnen Freiräume lassen und Fehler zugestehen.

In den vergangenen Jahren ist viel über Erziehung diskutiert worden. Ein prominentes Beispiel ist die Amerikanerin Amy Chua alias „Tiger Mom“, die in ihrem Buch ihre Erziehungsprinzipien schilderte. Die lassen sich vor allem mit drei Wörtern zusammenfassen: Disziplin, Disziplin, Disziplin. Chuas’ Kernthese: Kinder müssen vor allem mit strenger, harter Hand geführt werden.

Auch wenn ich selbst noch nie ein Kind erzogen habe, halte ich dieses Erziehungsprinzip für völligen Blödsinn. Wenn mich meine Kindheitserinnerungen nicht täuschen, ermunterte meine Mutter mich immer dazu, mir selbst zu vertrauen – Fehler waren okay, solange ich aus ihnen lernte. Außerdem kann ich mir kaum vorstellen, dass Kinder durch Unbarmherzigkeit und Zwang zu guten und glücklichen Menschen werden. Zwei französische Wissenschaftler würden mir da sicher zustimmen.

Der Doktorand Frédérique Autin von der Universität Poitiers hat zusammen mit seinem Doktorvater, dem Psychologieprofessor Jean-Claude Croizet, eine neue Studie veröffentlicht – und die gibt allen Gegnern, Kritikern und Skeptikern autoritärer Erziehung Recht. Das Fazit der Untersuchung: Kinder profitieren keineswegs davon, wenn sie mit harter Hand erzogen werden – sondern vor allem dann, wenn sie ständig ermuntert werden, wenn man ihnen Fehler zugesteht und sie, flapsig formuliert, einfach machen lässt.

Für die Studie konzipierten die Autin und Croizet drei Experimente mit mehreren Hundert Sechstklässler. Im ersten sollten 111 Kinder verschiedene Anagramme lösen. Der Haken: Diese Rätsel waren allesamt unlösbar. Nach einer Weile unterbrach Autin die eine Hälfte der Kinder und sprach ihnen Mut zu. Schwierigkeiten seien beim Lernen ganz normal, ebenso häufige Fehler, sagte er ihnen – aber ständiges Üben sei eben wichtig, so wie beim Fahrradfahren. Die andere Hälfte bekam diese Ermunterung nicht, sondern wurde lediglich gefragt, wie sie die Anagramme zu lösen gedachten.

Nun unterzog Autin alle Kinder einer Aufgabe, bei der ihr Arbeitsgedächtnis getestet wurde. Hintergrund: Das Arbeitsgedächtnis spielt eine wesentliche Rolle bei vielen geistigen Leistungen, etwa dem Lesen von Texten oder dem Lösen von Problemen. Und siehe da: Die Gruppe, denen Autin gut zugesprochen hatte, schnitt wesentlich besser ab als jene Gruppe, die mit der unlösbaren Aufgabe allein gelassen wurden.

In zwei weiteren Versuchen war das Ergebnis ähnlich. Bei einem davon bekam eine dritte Gruppe ein Anagramm, das tatsächlich lösbar war. Allerdings sprachen die Wissenschaftler ihnen zwischendurch nicht gut zu. Nun wurde ihr Leseverständnis getestet. Fazit: Am besten schnitten jene Kinder ab, die Autin zuvor ermutigt hatte – obwohl sie das Anagramm nicht hatten lösen können. Sie zeigten sogar bessere Leistungen als jene, die beim Rätsel ein Erfolgserlebnis gehabt hatten. Im letzten Versuch sorgte die Ermunterung sogar dafür, dass die Kinder mehr Zutrauen in ihre eigenen Fähigkeiten hatten.

„Kinder profitieren von einer Erziehung, die ihnen Raum gibt, sich auch mal schwer zu tun“, resümiert Autin. Lehrer und Eltern sollten den Kindern daher vor allem ihren Fortschritt klar machen und sich nicht bloß auf Noten und Testergebnisse beziehen. „Lernen ist zeitaufwändig und deshalb sollte jeder weitere Schritt belohnt werden“, sagt Autin, „besonders in den frühen Stadien, wenn die Kinder häufig scheitern.“

Quelle:
Frédérique Autin und Jean-Claude Croizet (2012). Improving Working Memory Efficiency by Reframing Metacognitive Interpretation of Task Difficulty. In: Journal of Experimental Psychology: General.

14 Kommentare

  1. Die Studie ist interessant und das Ergebnis nicht besonders überraschend: Kinder die ermuntert werden, schneiden besser ab, als Kinder die nicht ermuntert werden.

    Bei der Schlußfolgerung lehnen sich die Autoren aber sehr weit aus dem Fenster. Oder sie sind sich einfach nicht klar darüber was Ziele von Erziehung sein sollten. Genauso wie Tiger Mom, machen sie Leistung zum alleinigen Maßstab von erfolgreicher Erziehung.

    Dass Werte und Moral keine Rolle spiegelt gut den Zeitgeist wieder: Erfolgreich sein um jeden Preis…

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