Zukunftsgedanken senken die kriminelle Energie

Wer ein Verbrechen begeht, ignoriert die langfristigen Folgen seiner Handlung. Allerdings lässt sich der Hang zum Delikt beeinflussen: Laut einer neuen Studie senken Zukunftsgedanken die kriminelle Energie.

Die Gründe für Straffälligkeit sind so vielschichtig wie eine Zwiebel. Doch fest steht: Häufig ist sich der Delinquent bewusst, dass seine Handlung falsch und illegal ist. Warum begeht er die Tat trotzdem?

Mit einer Antwort beschäftigen sich Wissenschaftler schon seit vielen Jahren. James Wilson und Richard Herrnstein schrieben bereits 1985 in ihrem Buch ‚Crime & Human Nature‘, dass diese Entscheidung vor allem davon abhängt, inwieweit Menschen sich gedanklich mit der Zukunft beschäftigen. Ähnlich argumentierten die Kriminologen Michael Gottfredson und Travis Hirschi 1990 in ihrem Werk ‚A General Theory of Crime‘. Eine starke Konzentration auf das Hier und Jetzt könne dazu führen, den Weg des Gesetzes zu verlassen.

Kurzum: Offenbar ziehen Verbrecher im Moment ihrer Tat eine kurzfristige Belohnung vor, sei es Geld, Sex oder Macht – und vernachlässigen dadurch die langfristigen Kosten wie etwa eine Geld- oder Haftstrafe. Doch lässt sich diese Denkweise manipulieren? Kann man die Tendenz zu Missetaten künstlich beeinflussen? Dieser Frage widmeten sich in einer neuen Studie die beiden Wissenschaftler Jean-Louis van Gelder (Netherlands Institute for the Study of Crime and Law Enforcement) und Hal Hershfield (Stern School of Business).

Brief an sich selbst

Für das erste Experiment gewannen sie 111 Teilnehmer im Alter zwischen 20 und 25. Alle sollten sich selbst einen Brief schreiben, aber mit unterschiedlichem Zeithorizont. Gruppe A las: „Denken Sie darüber nach, wie Sie in 20 Jahren sein werden. Schreiben Sie einige Zeilen über Ihr momentanes Leben und was Ihnen wichtig ist.“ Gruppe B erfuhr: „Denken Sie darüber nach, wie Sie in drei Monaten sein werden …“

Nun legten van Gelder und Hershfield allen Freiwilligen einen Fragebogen mit fünf Szenarien vor. Darunter: ob sie einen geklauten Computer kaufen, die Versicherung betrügen, Gegenstände stehlen oder illegal Musik herunterladen würden. Auf einer Skala von 1 (sehr unwahrscheinlich) bis 7 (sehr wahrscheinlich) sollten sie angeben, ob sie die Taten begehen würden.

Und siehe da: Gruppe A erzielte im Schnitt 3,71 Punkte, Gruppe B hingegen 4,23 Punkte – ein kleiner, aber doch signifikanter Unterschied.

Alter Ego

Ähnlich war das Resultat im zweiten Experiment. Hier konfrontierten die Forscher 67 Studenten mit einer computeranimierten Version ihres Gesichts. Allerdings blickte Gruppe A in ein Antlitz, dass bereits erheblich gealtert war. Die Mitglieder von Gruppe B hingegen sahen ein digitales Abbild ihres derzeitigen Gesichts.

Im Anschluss reichteen die Forscher allen Probanden ein Quiz. Dessen Fragen waren allerdings kaum lösbar, obwohl fünf Antwortmöglichkeiten vorgegeben waren. Gleichzeitig erfuhren die Teilnehmer, dass sie ab sieben richtigen Antworten einen Bonus von sieben Euro erhalten würden. Und: Die richtige Antworten seien auf der Rückseite vermerkt – aber dort sollten sie doch bitte erst hinterher draufgucken. Zu guter Letzt legten van Gelder und Hershfield den Umschlag mit dem Sieben-Euro-Bonus direkt noch dazu.

Mit anderen Worten: Es war relativ verlockend, zu pfuschen. Aber siehe da: Die Mitglieder von Gruppe A betuppten nur zu 6,1 Prozent – jene aus Gruppe B immerhin in 23,5 Prozent der Fälle. In beiden Experimenten brachte die Konfrontation mit der fernen Zukunft die Probanden dazu, sich anständiger zu verhalten – zumindest anständiger als jene Teilnehmer, die an die Gegenwart oder kurzfristige Zukunft dachten.

„Kriminalität resultiert auch aus der begrenzten Fähigkeit, sich selbst in der Zukunft zu sehen“, resümieren van Gelder und Hershfield. Doch umgekehrt gilt offenbar auch: Wenn diese Zukunft gedanklich näher rückt, werden illegale und unmoralische Handlungen unattraktiver – denn man hat die unmittelbaren Kosten und Risiken eines Verbrechens stärker im Blick.

Quelle:
Jean-Louis van Gelder, Hal Hershfield und Loran Nordgren. Vividness of the Future Self Predicts Delinquency. Psychological Science, Band 24, Nummer 6, Seite 974-980

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